Eine interkulturelle Farbenreise
Weshalb reagiert man manchmal reserviert, wenn einem beispielsweise bei Bewerbungsunterlagen oder einem Outfit ein Farbton unpassend erscheint? Möglicherweise sind wir uns dessen nicht bewusst, dass sich weltweit Farbästhetik und -symbolik erheblich unterscheiden. Farben richtig zu interpretieren ist für die interkulturelle Kommunikation von grosser Bedeutung – ganz gleich, ob im Personalmanagement, Marketing oder einfach im alltäglichen Leben.
Abhängig vom kulturellen Kontext haben Farben ganz unterschiedliche Bedeutungen. Grün wird in China beispielsweise mit Betrug in Verbindung gebracht – Vorsicht bei der Kleiderwahl also. (Foto: Pierre Bamin)
Ein Mann sieht rot – und das bei Grün
Unlängst schilderte mir der CFO einer europäischen Tochtergesellschaft eines grossen taiwanesischen Unternehmens, wie er bei der Vorlage der Ertragszahlen einen Eklat ausgelöst hatte. Der Finanzchef hatte die hervorragenden Ergebnisse stolz präsentiert: die vielen erfolgreich reduzierten Aufwandsposten in Grün und die ganz wenigen gestiegenen in Rot – worauf beim taiwanesischen CEO alle Alarmglocken schrillten und er äusserst heftig reagierte: Alles grün! Das hätte der CFO wissen sollen: In Taiwan werden steigende Börsenkurse rot angezeigt, grün hingegen die fallenden. Keine Farbenblindheit hat zu diesem Missverständnis geführt, sondern eine andersartige kulturelle Prägung.
Kommunikation mit Farben
Farben sind eine kraftvolle Form der Kommunikation, ohne dass wir dessen immer gewärtig sind. Jede Kolorierung ruft Assoziationen hervor, weckt Erinnerungen, ist Ausdruck von Gefühlen, spiegelt unsere Stimmung wider und hat eine Bandbreite von Emotionen zur Folge. Bei genauerer Betrachtung tun sich vielfältige Farbwelten auf: Ein Farbton, der in einer Kultur eine klare Aussage trifft, kann in einer anderen Kultur genau das Gegenteil bedeuten. Der Clou dabei ist, dass Farbharmonien und -symbolik kulturell tief verankert sind und dadurch zu mannigfaltigen Wertungen führen. Geografie und Klima, Geschichte und Politik, Traditionen und Bräuche, soziokulturelles Umfeld und Religion prägen unsere kulturell unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster.
Farbe ist nicht gleich Farbe
Für uns in Westeuropa ist es klar: Bei einer kirchlichen Hochzeit tragen Bräute heutzutage so gut wie immer reines Weiss; noch zur Jahrhundertwende war dies insbesondere in ländlichen Gegenden völlig anders: Alte Fotos zeigen frischgebackene Eheleute oft in schwarzem Festgewand. Chinesinnen hingegen, wenn sie sich traditionell vermählen wollen, erscheinen bei ihrer Trauung im Freude, Reichtum und Glück verheissenden Rot. Überhaupt spielt diese kraftvolle Farbe des Lebens in dem asiatischen Land eine wichtige Rolle: Geschenke wie auch Geldkuverts zum chinesischen Neujahrsfest werden in Rot verpackt. In der Werbung und überdies bei vielen freudigen Anlässen darf energetisierendes Rot nicht fehlen. Und bei Geschäftseröffnungen wird gleichsam «der rote Teppich» ausgerollt.
Ebenfalls werden traurige Anlässe mittels völlig unterschiedlicher Farbtöne kommuniziert: Üblicherweise, so nicht ausdrücklich anders gewünscht, tragen wir in Westeuropa bei einer Abdankung Schwarz. In Griechenland und Thailand hingegen trifft man bei Beerdigungen auf Lila und in Südafrika sogar auf Rot. Im Buddhismus und Hinduismus ebenso wie in China ist Weiss die Farbe der Trauer, des Abschieds und des Tods: Es verdeutlicht die Leere, die durch den Toten im Leben der Hinterbliebenen entsteht.
Mit Grün wird in zahlreichen Ländern Positives wie Hoffnung, Frische und Gesundheit assoziiert; man verbindet es mit Beginn und Start und gibt beispielsweise Projekten «grünes Licht». Grün steht für Natur und Wachstum und damit für das Überleben von Mensch und Tier. Nicht umsonst findet sich in den Nationalflaggen arabischer Staaten Grün. Es gilt als die traditionelle Farbe des Islam und ist in muslimischen Gesellschaften omniprä sent. In China allerdings wird Grün auch mit Negativem wie Betrug in Zusammenhang gebracht.
Mit Schwarz verknüpfen wir oft Ungutes, wir «sehen schwarz». In zahlreichen Ländern des afrikanischen Kontinents jedoch verbindet man mit Schwarz die Farbe fruchtbarer Böden. In China symbolisiert Schwarz unter anderem den beruflichen Bereich mit Macht und Geld. Und bei indischen Kindern hat Schwarz eine besondere Funktion: Deren dunkel umrandete Augen sollen vor dem «bösen Blick» bewahren.
Bei Gelb scheiden sich die Geister gleichfalls erheblich: Wenn Menschen aus kalten, regnerischen Regionen kommen, setzen sie Gelb meist mit Sonnenschein, Wärme und Freude gleich. Für Ägypter, SaudiAraber oder Iraner ist Gelb nicht zwingend etwas Positives; sie stellen sich steten Sonnenschein vor, der eine Wüste schafft. In China war Goldgelb einst der exklusive kaiserliche Farbstoff und Normalbürgern nicht gestattet; heute freilich gelten dort gelbe Einrichtungsgegenstände und Blumensträusse als Glück verheissend.
Politik durch Farben
Und zu guter Letzt können Farben sogar politisch aufgeladen sein. Zu allen Zeiten durften Menschen nicht sämtliche Farbtöne tragen, denn diese definierten den jeweiligen Platz in der Gesellschaft. So war beispielsweise Rot nur Adligen vorbehalten. Und die Regenbogenfahne, häufig mit dem Schriftzug «PACE» versehen, kennt sicher jeder.
Farbe bekennen
- Ob im HR-Management oder im ganz alltäglichen Leben: Farbe ist kulturspezifisch und emotional besetzt. Seien Sie sich der weltweit vielfältigen Farbharmonien und -symbolik bewusst und lernen Sie deren interkulturelle Bedeutung verstehen.
- Achten Sie auf Ihre inneren Reaktionen, sollte Ihnen doch etwas «zu bunt» erscheinen; möglicherweise begegnen Ihnen gerade genau die richtigen Menschen: Sie bringen (andere) Farbe ins Leben.
(Erstpublikation: PersonalSCHWEIZ, Dezember 2023-Januar 2024)