Hagen Worch, Ramon Kaltenrieder, Bora Altuncevahir 24.01.2020

Markteintrittsstrategien für Unternehmensplattformen

Digitale Plattformen gewinnen in nahezu allen Branchen an Bedeutung. Welche Mehrwerte dabei für Anbieter und Kunden resultieren und wie Unternehmen diese Nutzergruppen erfolgreich auf ihre Plattform bringen können, um eine kritische Grösse zu erreichen und erfolgreich wachsen zu können, hat die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) untersucht.

Für eine erfolgreiche Plattform ist es ausschlaggebend, dass ein Mehrwert sowohl für die Anbieter- als auch die Nachfragerseite generiert wird. Weil der Mehrwert einer Plattform für Anbieter und Nachfrager häufig unterschiedlich ist, müssen für beide Marktseiten eigene Strategien entwickelt und implementiert werden. Nur wenn es gelingt, dass Anbieter und Nachfrager ihre Transaktionen dauerhaft über die Plattform abwickeln, besteht für die Plattform ein Erfolgs- und Wachstumspotenzial (vgl. Hagiu und Altman 2017).

Herausforderungen

Grundsätzlich stehen Plattformunternehmen vor vier zentralen Herausforderungen (vgl. Altuncevahir und Worch 2018). Erstens müssen sie die richtige Plattformart und Offenheit der Plattform wählen. Zweitens sollten sie ein skalierbares Geschäftsmodell entwickeln. Drittens müssen Plattformunternehmen Netzwerkeffekte schaffen und das sogenannte Henne-Ei-Problem lösen. Und viertens haben sie sich mit plattformspezifischen strategischen und organisatorischen Massnahmen auseinanderzusetzen und müssen entsprechende Entscheidungen treffen. Erfolgreiche Plattformen sind in der Lage, diese Herausforderungen zu meistern.

Das Henne-Ei-Problem

Zentral für die erfolgreiche Lancierung einer Plattform sind die Lösung des Henne-Ei-Problems und die Generierung von Netzwerkeffekten. Das Henne-Ei-Problem beschreibt das Dilemma, dass Anbieter
nicht auf eine Plattform kommen, wenn es keine Nachfrage gibt. Umgekehrt kommen keine Nachfrager auf die Plattform, wenn keine werthaltigen Angebote bestehen. So wird sich Uber bei der Lancierung seines Services gefragt haben, ob zuerst Kunden oder Fahrer angeworben werden sollen. Sind keine Fahrer vorhanden, können Kunden keine Leistung beziehen. Sind umgekehrt keine Kunden da, ist es für Fahrer nicht attraktiv, ihre Leistung auf der Plattform anzubieten.

Einführungsstrategien

Erfolgreiche Plattformen müssen gleichzeitig Anbieter und Nachfrager anziehen. Zur Überwindung dieser Herausforderung existieren acht mögliche Strategien (vgl. Parker, Van Alstyne & Choudary 2016, Kapitel 5). Dabei darf nicht angenommen werden, dass die Strategie, die bei einer Plattform funktioniert, auch bei einer anderen funktionieren wird. Selbst wenn es sich um Unternehmen in derselben Branche mit ähnlichen Plattformideen handelt, muss dies nicht der Fall sein. Im Folgenden werden die acht Strategien vorgestellt.

Follow-the-Rabbit-Strategie

Die Follow-the-Rabbit-Strategie basiertauf Geschäftstätigkeiten mit gewöhnlichen Produkten und Dienstleistungen. Dies kann zum Beispiel ein Onlineshop sein, über den ein Unternehmen Produkte erfolgreich verkauft. Ist die Kundenbasis gross genug, kann es für ein Unternehmen attraktiv sein, das Onlinegeschäft für andere Anbieter zu öffnen und an deren Verkäufen über eine Transaktionsgebühr zu partizipieren.

In dem Fall macht das Unternehmen anderen Anbietern seine Kundenbasis zugänglich. Die Lancierung eines Plattformgeschäfts folgt einem bestehenden Geschäft und ist in diesem Sinne dessen Weiterentwicklung.

Nicht immer existiert jedoch ein erfolgreiches Geschäft, das sich zu einem Plattformgeschäft ausbauen lässt. In dem Fall können Unternehmen zwischen verschiedenen Ansätzen wählen. So kann der Plattformbetreiber einer Nutzergruppe die Generierung von werthaltigen Angeboten ermöglichen, die weitere Nutzer dieser Gruppe oder anderer Kundengruppen anzieht. Diese schaffen weitere Angebote und setzen damit eine positive Feedbackschlaufe für eine wachsende Nutzerbasis in Gang.

Piggyback-Strategie

Bei der Piggyback-Strategie (auf Deutsch: Huckepackstrategie) wird ein bereits vorhandener Kundenstamm wie zum Beispiel ein bestehendes Branchenverzeichnis genutzt oder Anbieter einer anderen Plattform umworben, ohne sie notwendigerweise von der anderen Plattform abzuwerben. Dadurch wird das Bestehen eines Angebotes auf der einen Marktseite suggeriert. Das erweckt den Eindruck, dass Anbieter und Nachfrager auf der Plattform bereits zahlreich interagieren. Nachfrager werden angelockt und generieren ein Wachstum der Plattform. Diese Strategie kam beim Initiieren vieler erfolgreicher Plattformen zum Einsatz und eignet sich besonders, wenn die Plattform die erste in einem bestimmten Marktsegment ist.

Seeding-Strategie

Bei der Seeding-Strategie werden werthaltige Angebote für mindestens eine spezifische Nutzergruppe erzeugt. Das Kalkül ist, dass durch diese andere Nutzergruppen auf die Angebote und Interaktionen aufmerksam werden und ebenfalls die Plattform nutzen. Häufig wird das Angebot anfangs vom Betreiber der Plattform selbst generiert. Dies kann in Form von bereitgestellten Produkten, Inhalten oder Beiträgen erfolgen. In bestimmten Fällen könnten Anbieter sogar die eigenen Angebote nachfragen, um die Nutzung der Plattform in Gang zu bringen. Eine derartige Wertgenerierung muss so lange durchgeführt werden, bis die kritische Masse auf beiden Marktseiten erreicht und somit das Volumen der Transaktionen selbsttragend ist. Dann werden weitere Kunden angezogen.

Marquee-Strategie

Bei der Marquee-Strategie werden kritische Nutzergruppen für die Plattform umworben. Deren Präsenz ist für Plattformen mitunter so bedeutend, dass sie teilweise sehr hohe Anreize setzen (wie zum Beispiel Prämienzahlungen), um diese Nutzergruppen auf die Plattform zu locken. Kritische Anbieter sind häufig Unternehmen, die eine sehr starke Marktstellung in einer Branche haben oder Produkte anbieten, die zentral für eine Branche sind. Kritische Kundengruppen können aber auch Nachfrager sein. In dem Fall werden Anreize (wie zum Beispiel Preisnachlässe und Boni) gesetzt, um Nachfrager zu Transaktionen auf einer Plattform zu bewegen.

Single-Side-Strategie

Bei der Single-Side-Strategie wird in einer ersten Phase ein Geschäftsmodell etabliert, in dem Produkte und Dienstleistungen gewöhnlich an eine oder mehrere Nachfragergruppen verkauft werden. Später wird das aufgebaute Geschäftsmodell in eine Plattform umgewandelt, indem die Anbieterseite für andere Unternehmen geöffnet wird, damit beide Nutzergruppen interagieren können.

In einer anderen Variante dieser Strategie könnten angehende Plattformen zunächst ein Problem des Anbieters lösen. Hat die Plattform hinreichend Kontakte zu einer kritischen Anzahl von Anbietern, dann könnte sie Nachfrager bewerben und somit den Auf- und Ausbau der zweiten Marktseite der Plattform vorantreiben. Die Plattform verdient dann an den Interaktionen der beiden Nutzergruppen.

Der Unterschied der Follow-the-Rabbit-Strategie zur Single-Side-Strategie bestehtdarin, dass erstere für bestehende Geschäftsmodelle funktioniert, die ein Plattformgeschäftsmodell adaptieren oder einzelne Plattformelemente in ihr Unternehmen implementieren wollen.

Die Single-Side-Strategie zielt von Beginn an auf ein Plattformgeschäftsmodell ab, baut die Nutzergruppen aber sukzessive auf und nimmt dabei ein Single-Side-Geschäftsmodell vorerst in Kauf.

Producer-Evangelism-Strategie

Bei der Producer-Evangelism-Strategie (oft auch Anbieter-als-Zugpferd-Strategie genannt) werden Anbieter angelockt, die ihre Nachfrager mit auf die Plattform bringen bzw. diese dazu bewegen, ebenfalls auf der Plattform zu interagieren. Plattformen bieten diesen Anbietern einen starken Anreiz, dass sie bereit sind, ihre Transaktionen über die Plattform abzuwickeln. Der Plattform muss es gelingen, einen entsprechend hohen Mehrwert für die Anbieter zu generieren. Die Plattform muss aber auch für deren Nachfrager hinreichend attraktiv sein, damit sie die Transaktionen über die Plattform abwickeln.

Big-Bang-Adoption-Strategie

Bei der Big-Bang-Adoption-Strategie werden durch mehrere Push-Marketingmassnahmen das Interesse und die Aufmerksamkeit sowohl von Anbietern als auch Nachfragern auf die Plattform gezogen. Dabei soll innerhalb kurzer Zeit die kritische Masse auf beiden Marktseiten erreicht werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass neue Nutzer direkt an der Kerninteraktion der Plattform beteiligt sind. Häufig erreichen Plattformen mit dieser Strategie insbesondere in lokalen Kontexten ein grosses Momentum, das sich dann relativ schnell verbreiten und zum Wachstum beitragen kann.

Micromarkt-Strategie

Bei der Micromarkt-Strategie konzentriert sich die Plattform in der Anfangsphase auf einen sehr kleinen Markt. Dadurch entsteht für beide Seiten bereits zu Beginn ein effektiver Raum für Interaktionen zwischen Anbietern und Nachfragern, wie dies bei einem grossen Markt der Fall wäre. Dies gilt insbesondere auch zwischen Inhalteanbietern und -nachfragern in sozialen Netzwerken. Basierend auf einem solchen Mikromarkt kann eine Plattform dann in andere Märkte wachsen oder andere Kleinstmärkte bedienen, die dann zu einem grösseren funktionierenden Markt mit hinreichend kritischer Grösse zusammengeschlossen werden können.

Entscheidungsfindung

Trotz der vielfältigen Vorgehensmöglichkeiten gibt es bisher wenige Erkenntnisse darüber, unter welchen Bedingungen welche Strategie am effektivsten funktioniert. Deshalb untersucht eine Studie im Rahmen einer Masterarbeit des FFHSStudienganges M.Sc. Business Administration mit Schwerpunkt Innovationsmanagement die Voraussetzungen erfolgreicher Markteintrittsstrategien digitaler
Plattformen.

Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie Anbieter und Nachfrager unter welchen Bedingungen möglichst schnell auf einer Plattform angeworben werden können. Als Ergebnis der Studie sollen Unternehmen Handlungsempfehlungen erhalten, wie sie die oben beschriebenen acht Strategien anwenden können, sodass Anbieter und Nachfrager motiviert sind, deren digitale Plattform für ihre Transaktionen zu nutzen.

Erfolgsfaktor Netzwerkeffekte

Ist das Henne-Ei-Problem gelöst, geht es für Plattformbetreiber darum, die Plattform zu skalieren. Anbieter und Nachfrager müssen überzeugt werden, dass die Plattform fortlaufend den grössten Mehrwert bietet und dass dieser Wert mit einer zunehmenden Anzahl von Nutzern steigt.

Die Attraktivität einer Plattform für Anbieter, Nachfrager und diverse andere Anspruchsgruppen hängt davon ab, wie viele potenzielle Transaktionspartner die Plattform nutzen. Das Auslösen von sogenannten Netzwerkeffekten ist daher ein weiterer entscheidender Faktor für das erfolgreiche Wachstum einer Plattform.

Dr. Hagen Worch – Forschungsfeldleiter, Dozent

Dr. Hagen Worch ist Forschungsfeldleiter «Innovation und Entrepreneurship» am Institut für Management und Innovation (IMI) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) und doziert im Master of Science Business Administration in den Bereichen Innovationsökonomik, Innovationsmanagement und Entrepreneurship.

Ramon Kaltenrieder – Geschäftsführer

Ramon Kaltenrieder ist Treuhänder mit eidgenössischem Fachausweis, Geschäftsführer und Mitinhaber der Firma Apo Treuhand GmbH sowie Mitgründer und Mitinhaber der Firmen Kas Consulting AG und SKG Treuhandpartner GmbH. Er ist Referent bei diversen betriebswirtschaftlichen Seminaren und Kursen im Bereich Offizinpharmazie. Gleichzeitig absolviert er an der FFHS das Studium Master of  Science in Business Administration mit Schwerpunkt Innovationsmanagement.

Bora Altuncevahir – Partner, Dozent

Altuncevahir doziert an der FFHS im Master-of-Science-Studiengang mit Schwerpunkt Innovation Management zu Technologie- und Innovationsmanagement, Corporate Strategy, Advanced Business Strategy sowie im Studiengang CAS Blockchain. Er ist Chair der Education Working Group der Crypto Valley Association und ist Partner bei Bitbrain Global GmbH im Innovations- und Blockchain-Hub Trust Square AG in Zürich.