So holt man gute Ideen ins Unternehmen
Open Innovation birgt ein riesiges Potenzial zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Wenn sich die Umsetzung aber auf digitale Plattformen beschränkt, wird das Potenzial nur unzureichend ausgeschöpft. Mit der wissenschaftlich erprobten Atlas-Methode können sogar komplexe technische Probleme von externen Lösungen profitieren.
(Quelle Kvalifik – Unsplash)
Sicherlich denken die wenigsten beim Begriff «Innovation» noch an den einsamen Garagentüftler, der nach Nächten kreativen Schaffens an einer genialen Idee dann mit einem fertigen, weltverändernden Produkt auf den Markt tritt. Zu präsent ist inzwischen die Bedeutung der Innovation für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und unterschiedliche Innovationsprozesse durchdringen die verschiedensten Bereiche sowie Abteilungen – von der Verbesserungsinnovation über das ganz neue Produkt bis hin zu interdisziplinären Teams, die mit Methoden wie dem Design Thinking oder Scrum neue Wege des Zusammenarbeitens ausprobieren.
Trotzdem sitzt die Überzeugung noch immer tief, dass Innovationen etwas Geheimes sein sollten, dass die Konkurrenz die gute Idee wegschnappen und schneller am Markt sein könnte. Diese Sorge ist kulturell verwurzelt und trifft im Silicon Valley auf Unverständnis – dort ist die Angst grösser, dass man mit einem Produkt auf den Markt tritt, das die Kunden nicht wollen. Deshalb werden frühzeitig und von allen Seiten Rückmeldungen zur Idee eingeholt.
Wenn man von Open Innovation spricht, dann geht es um genau so eine bewusste Öffnung gegenüber der Aussenwelt – sei es, indem Kunden, Lieferanten, Start-ups oder unbeteiligte Dritte in den Entwicklungsprozess einbezogen werden. Open Innovation betreiben Unternehmen, die auf die Frage «Wo gibt es mehr gute Ideen und Lösungen – innerhalb meines Unternehmens oder in der ganzen Welt drumherum?» Letzteres annehmen.
Ein Puzzle setzt sich nicht von selbst zusammen, selbst wenn die Einzelteile noch so gut zueinanderpassen mögen.
Möglichst viele Vorschläge
Doch beim konkreten «Wie kommen die Ideen nun ins Unternehmen?» scheiden sich die Geister. Einige Unternehmen setzen auf digitale Plattformen, bei denen Probleme und Herausforderungen einer möglichst zahlreichen und differenzierten Teilnehmerschaft für Lösungsvorschläge angeboten werden, oft in Verbindung mit Prämien für die beste Idee. Ob nun auf einer eigenen Plattform wie bei Unilever, Ikea oder auch Lego oder mittels externen Plattformanbietern, die mit mehreren Tausend aktiven Mitgliedern werben – immer geht es darum, möglichst viele Vorschläge zu bekommen und gemeinsam mit den Kunden einen sogenannten Co-Creation-Prozess in Gang zu setzen.
Auch wenn solche Plattformen mittlerweile so beliebt sind, dass einige Unternehmen sie als Synonym für Open Innovation verstehen, halten sie in der Praxis längst nicht immer, was sie versprechen. Denn was bei Geschmacks- und Designfragen sowie Alltagsproblemen noch funktionieren mag, stösst bei komplexen technischen Herausforderungen schnell an seine Grenzen.
Probleme digitaler Plattformen
Eine dieser Grenzen liegt in der Komplexität begründet: Um
möglichst unterschiedliche Lösungen zu bekommen, sollten die Teilnehmer interdisziplinär aufgestellt und aus unterschiedlichen Branchen und Bereichen kommen – denn nur dann macht eine Öffnung nach aussen Sinn. In dem Augenblick jedoch, wo ein herausforderndes technisches Problem nach einer Lösung verlangt, muss so ein Nicht-Experte dieses Problem überhaupt erst einmal verstehen. Sind wir ganz ehrlich: Wenn uns als Ökonomen ein Kollege aus der IT-Abteilung erklären möchte, wie unser IT-System ineffizient geworden ist, längst unbemerkt auf dem Backup läuft und unzählige Redundanzen aufweist, braucht er sehr viel Geduld. Dass wir dann noch einen brauchbaren Rat für ihn hätten, darf bezweifelt werden. Ähnlich verhält es sich mit Plattformen: Sie sind für komplexe technische Probleme vollkommen ungeeignet, weil sie sich eher für Ideengenerierungen und Teillösungen eignen. Auch wenn das Out-of-the-box-Denken an sich zu begrüssen ist, gestaltet sich der Weg von einer guten Idee hin zu einem Verfahren gewöhnlich steinig, mit dem Stückzahlen von Zehntausend oder Hunderttausend effizient bewältigt werden können oder die unterschiedlichsten Prozesse und Abläufe reibungslos ineinandergreifen. Und die vielen Herausforderungen, die sich auf diesem Weg stellen, lösen sich nicht von selbst – sonst wären es keine Herausforderungen. Ein Puzzle setzt sich nicht von allein zusammen, selbst wenn die Einzelteile noch so gut zueinanderpassen.
Deshalb müssen Teillösungen intelligent verknüpft, vorhandene Technologien weiterentwickelt und an das konkrete Problem angepasst werden. Wenn diese Technologien nun aber aus einer fremden Branche kommen, fehlen im Unternehmen die notwendigen Experten, die solche Anpassungen vornehmen können. Die Implementierung neuer Technologien von aussen braucht deshalb ein von Plattformen gänzlich unterschiedliches Vorgehen.
Atlas-Methode: Offenheit für Lösungen
Die wissenschaftlich fundierte und praxiserprobte Atlas-Methode ist sowohl radikal als auch sehr zielführend: Sie versteht die Offenheit nicht gegenüber vielen unterschiedlichen Teilnehmern, sondern ist offen für die verschiedensten Lösungen. Folgende Schritte sind notwendig, damit Ihr nächstes Open-Innovation-Projekt erfolgreich wird: Als Erstes muss dazu das Problem von einem interdisziplinären, branchenexternen Expertenteam in allen Einzelheiten verstanden werden – Richtlinien, Anforderungen und Knackpunkte. Wenn es dann an die Lösungsfindung geht, öffnet sich der Blick wie ein Trichter und es wird in allen möglichen Bereichen nach einem Ansatz, einer Teillösung oder einer Vorgehensweise gesucht.
Hierfür muss das Problem weitestgehend generalisiert werden, um anschliessend in den unterschiedlichsten Bereichen nach einer möglichen Technologie Ausschau halten zu können. Dabei ist diese Suche tatsächlich so offen wie nur möglich und bezieht auch weit entfernte Branchen und Anwendungen mit ein. Anschliessend wird der Trichter wieder geschlossen und die einzelnen Lösungen sowie Ansätze werden auf ihre Machbarkeit in Bezug auf das konkrete Problem hin überprüft: Welche Technologien sind vielversprechend, welche erweisen sich als unzulänglich?
Brillenhersteller lernt von Raumfahrern
Beispielsweise sah sich ein grosser italienischer Brillenhersteller vor die Herausforderung gestellt, dass die Qualität der Linsen durch zunehmendes Schleifen gesteigert werden konnte. Eine Verlängerung der Schleifdauer machte die Serienfertigung allerdings unwirtschaftlich und eine Beschleunigung der Schleifbewegung führte zu einem unerwünschten Temperaturanstieg, der wiederum zu kleinen Rissen und Einschlüssen führte. Anders als die Ingenieure zunächst glaubten, handelte es sich hierbei nicht um ein Optimierungsproblem, sondern es ging um die Frage, wie der Temperaturanstieg durch Reibung verhindert oder zumindest verzögert werden konnte.
An dieser Stelle konnten nun vergleichbare Probleme aus ganz anderen Bereichen und Branchen betrachtet werden: Welche technischen Lösungen gibt es für Raumkapseln beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre – und der dabei entstehenden Reibungshitze? Wie wird in anderen Branchen mit Werkstücken umgegangen, deren Oberfläche in eine gewünschte Form gebracht oder von Verschmutzungen und Verfärbungen befreit werden soll? Wird die Wärme dort abgeleitet, wird eine Kühlflüssigkeit verwendet oder eine Beschichtung? Basierend auf dem Wissen, wurden Machbarkeitstests durchgeführt, erste Prototypen entwickelt und kritische Parameter Stresstests unterzogen. So wurden die unterschiedlichen Lösungen auf eine Übertragbarkeit auf Brillengläser überprüft – und dabei schieden undurchsichtige Beschichtungen ebenso aus wie Kühlflüssigkeiten, die Brillengläser verschmutzten.
Durch die Adaptierung einer vorhandenen Technologie aus einer anderen Branche wird das Risiko einer Neuentwicklung verringert.
Weniger einzigartig als angenommen
Hinter dem Vorgehen steckt eine zentrale Grundannahme über technische Probleme: Natürlich ist jedes Problem in seinem Kontext einzigartig. Aber der Flaschenhals, das, was ein Problem knifflig macht, ist es nicht unbedingt. Trotz der besonderen Anforderungen an optische Linsen kommt das Kernproblem bei den unterschiedlichsten Schleif- und Reibungsvorgängen vor und war deshalb prädestiniert für eine Suche nach externen, branchenfremden Lösungen.
All das bedarf aber eines gesteuerten Prozesses und eines intelligenten, sachverständigen Vorgehens, um erfolgreich umgesetzt werden zu können. Daher müssen Unternehmen Zugang zu externen Experten bekommen, die genug Fachwissen haben, um das technische Problem in all seinen Einzelheiten verstehen zu können, und müssen einen offenen Blick in fremde Branchen und für neue Technologien haben, der den unternehmensinternen Technikern oft fehlt. Idealerweise findet dann bei der konkreten Implementierung einer Technologie in den Produktionsprozess eine Begleitung der unternehmenseigenen Fachkräfte statt. Auf diese Weise kann bei einem Know-how-Transfer die eigene Unabhängigkeit bewahrt und die neue Lösung eigenständig realisiert werden.
Nebenbei Risiken minimieren
Dann entfaltet das Vorgehen noch einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Vorteil der Innovation: Durch die Adaptierung einer vorhandenen Technik aus einer anderen Branche wird das Risiko einer Neuentwicklung verringert, denn die Technologie hat sich – wenn auch in einem anderen Anwendungsbereich – bereits bewährt und im Idealfall ihre Kinderkrankheiten überwunden. Um erfolgreich und dauerhaft neue Technologien und innovative Lösungen für konkrete technische Probleme ins Unternehmen zu holen, sollte der Prozess der Open Innovation standardmässig ausgelagert werden. Allerdings nicht auf eine Plattform, sondern an ein interdisziplinäres Expertenteam, welches das Problem bis ins Detail verstehen und dann in den unterschiedlichsten Branchen und Sektoren seine Fühler nach innovativen Ansätzen, Teillösungen und Ideen ausstrecken kann.
(Erstpublikation in der Zeitschrift «Computerworld 10/2020»)
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- MSc Business Administration in Innovation Management