Andrea L. Sablone und Bernhard Frei 27.06.2022

Unternehmenskultur: Tatsachen, Möglichkeiten und Grenzen (Teil 1)

In einer zweiteiligen Artikelserie gehen die Autoren der Frage nach, auf welchen Faktoren Unternehmens­kulturen beruhen und wie diese die Leistung von Organisationen beeinflussen. Erläutert werden zunächst die Grundlagen, bevor – im zweiten Teil – auch ein Beispiel für die praktische Umsetzung erläutert wird.

Begriffen wie Strategie, Vision oder Innovation wird gerne eine positive Konnotation zugeschrieben. Die verbreitete Auffassung blendet dabei aus, dass es auch gescheiterte Strategien gibt, die auf fehlerbehafteten Annahmen basierten oder falsche Einschätzungen beinhalteten, dass es verstiegene Visionen gibt, die erhebliche Ressourcen verschlingen, nur um später sang- und klanglos aufgegeben zu werden, und dass es zahlreiche Innovationen gibt, die aus verschiedensten Gründen kein Markterfolg werden. Dasselbe gilt, womöglich sogar noch in verstärktem Mass, für die Unternehmenskultur.

Kultur allgemein – und Unternehmenskultur im Speziellen – kann als soziales Konstrukt verstanden werden, das Werte, Annahmen und Überzeugungen der Menschen umfasst, die an der Kultur teilhaben. Diese grundlegenden Auffassungen könnte man verstehen «im Sinne von […] Gefühlen von Gut und Böse, Schön und Hässlich, Normal und Abnormal, Rational und Irrational, die sich nicht als solche beobachten lassen, sondern sich in Verhaltensalternativen manifestieren» (Hofstede et al. 1990, S. 291).

Jede Gruppe, und somit jede Organisation, entwickelt – implizit oder explizit – und pflegt im Alltag ein Verständnis der Realität, das zum Ausdruck bringt, was sie für wichtig und erstrebenswert, aber auch für unerwünscht und unwichtig hält. Es sind diese Werte, Annahmen und Überzeugungen, die – neben hierarchischen Machtstrukturen – das Verhalten und die Verhältnisse innerhalb einer Organisation prägen. Es stellt sich nun die Frage, ob es berechtigt sei, diese positive Konnotation der Unternehmenskultur zu hinterfragen. Wir sind davon überzeugt und schlagen drei Ausprägungen einer negativen Unternehmenskultur vor:

Von der ersten Ausprägung erfährt die Allgemeinheit, wenn deren Auswüchse kriminelle Ausmasse annehmen, die mitunter zur langfristigen Schädigung bis zur Auflösung der betroffenen Unternehmen führen, wie die Beispiele von Enron oder Wirecard eindrücklich zeigen. Die kriminellen Taten verschulden Einzelne. Wenn sie allerdings die Grenzen einer persönlichen rechtswidrigen Bevorteilung überschreiten und zu einem unternehmensweiten Modus Operandi aufsteigen, werden sie erst aufgrund einer verbreiteten Haltung innerhalb des Unternehmens überhaupt möglich. Diese reicht vom Erdulden offensichtlichen Fehlverhaltens über das ungeschriebene Gesetz des Schweigens (die berüchtigte «Omertà») bis zur Mittäterschaft.

Eine weitere, weniger auffällige Ausprägung betrifft Organisationen, in denen Misstrauen herrscht oder Unterwürfigkeit gegenüber Personen in Machtpositionen und Arroganz gegenüber Kollegen in ausführender Position. Diesbezüglich wird auch von toxischer Kultur gesprochen (Sutton 2007).

Schliesslich gibt es Kulturen, die nicht per se toxisch sind, sondern subjektiv als nicht förderlich wahrgenommen werden. Nicht jeder kommt beispielsweise mit besonders kompetitiven und individualistischen Orientierungen zurecht – wenn es entweder um Beförderung oder Abschied geht – oder mit ständigem und wiederkehrendem Changemanagement – wenn maximale Flexibilität und positiver Umgang mit Verunsicherung gefragt sind – oder damit, dass Stabilität als ein höherer Massstab angesehen wird als Innovation – wenn strikte Regeln und hierarchische Verhältnisse Veränderungen erschweren. In solchen und ähnlichen Fällen besteht keine Kompatibilität zwischen der Einstellung Einzelner und der Ausrichtung der Organisation.

Was Unternehmenskultur nicht ist

Es gibt zahlreiche Begriffe, die inhaltlich an Unternehmenskultur angrenzen und mit ihr vermischt werden. Um einen zielführenden Umgang mit Unternehmenskultur zu fördern, ist es von Nutzen, für begriffliche Klarheit zu sorgen.

Unternehmenskultur ist nicht das organisatorische Klima: Das Klima umschreibt die Wahrnehmung des Arbeitsumfelds durch die Mitarbeitenden, während die Kultur aus den grundlegenden Werten einer Organisation besteht. Das soll nicht heissen, dass keine Beziehung zwischen ihnen besteht. Das Klima wird von der Kultur beeinflusst. Während die Wahrnehmungen der Mitarbeitenden sowohl das Klima als auch die Kultur definieren, ist die Ebene, auf der dies geschieht, unterschiedlich (Burke & Litwin 1992). Das Klima einer Organisation ist also der wahrnehmbare Ausdruck der geltenden Kultur. Wenn dieses Klima zum Beispiel durch Misstrauen gekennzeichnet ist und das Leitungsteam eine Veränderung erwirken möchte, so setzt es vorzugsweise an den Überzeugungen und Wertehaltungen an, die ursächlich dafür waren. Beispielsweise Toleranz oder gar Bejahung eigennützigen Verhaltens, Unterstützung machtbedingter Durchsetzungsakte, wenn diese mit kurzfristigen Vorteilen einhergehen, wären mögliche Indikatoren der Werte, die ersetzt werden müssten, wenn ein anderes Klima erwünscht ist.

Die Kultur der Unternehmung sollte auch nicht auf das in der Unternehmung vorherrschende Engagement reduziert werden. Letzteres kann sich auf die Bereitschaft des Einzelnen beziehen, in guten wie in schlechten Zeiten bei der Organisation zu bleiben, die Unternehmensziele zu teilen und Energie und Loyalität einem sozialen System zu widmen (Meyer & Allen 1997, Buchanan 1974). Wenn ein wesentlicher Teil der Organisationsmitglieder so denkt und handelt, wird das Engagement durch das Organisationsklima durchschimmern und dessen dominante Komponente sein. Was aber zum Engagement führt, ob das die Ziele der Organisation sind oder das Wirken charismatischer Führungspersönlichkeiten oder noch ein persönlicher Bezug zur Organisation, entzieht sich einer singulären Betrachtungsweise. Vielmehr interagieren verschiedene Aspekte miteinander und prägen die in der Organisation gelebten Werte, die zur Kultur werden und das Engagement erst hervorrufen.

Schliesslich halten wir fest, dass nur gelebte Werte zur Kultur einer Organisation gehören und nicht solche, die lediglich im Leitbild vorzufinden sind. Wenn zum Beispiel Integrität im Leitbild genannt wird, jedoch unrechtmässige Praktiken geduldet werden, dann wird man wohl eher von einer kompromisslosen Profitorientierung gekoppelt mit Wegschauen sprechen können als von einem integren Verhalten. Oder wenn Teamorientierung eine Rolle spielen soll, jedoch das erwünschte Verhalten kompetitiv und mit individueller Zielvorgabe gemessen wird, werden statt erstere, eher letztere Komponenten in die gelebte Kultur des Unternehmens einfliessen.

Kulturelle Werte eines Unternehmens

Führungskräfte in Unternehmen können sehr wohl beeinflussen, welche Werte sie fördern wollen. Die Überzeugungen ihrer Mitarbeitenden können sie durch ihr Vorbild und das konsequente Vorleben dieser Werte im Alltag prägen.

Sie wären in jedem Fall gut beraten, bevor sie die Unternehmenskultur verändern, eine Bestandesaufnahme durchzuführen bzw. durchführen zu lassen. In unserer langjährigen Tätigkeit als Forscher und Berater konnten wir in verschiedenen Organisationen eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Führungskräfte und jener ihrer Mitarbeitenden feststellen. Würde eine Geschäftsleitung einen Veränderungsprozess anstossen wollen, sollte dieser auf einer validen Datenlage basieren.

Unternehmerische Werte lassen sich in drei Dimensionen beschreiben: (1) die Prägnanz, welche die Klarheit der von den Mitgliedern der Organisation wahrgenommenen kulturellen Konzepte ausdrückt, (2) die Tiefgründigkeit, die den Grad der Akzeptanz und Verinnerlichung grundlegender kultureller Aspekte durch den Einzelnen widerspiegelt, und (3) die Verbreitung, die beschreibt, wie viele Mitarbeitende von den Werten der Unternehmenskultur beeinflusst werden (Steinmann & Schreyoegg 2000).

Der unmittelbare Einfluss der Unternehmenskultur auf die Organisation und deren Leistung sowie die Verknüpfung von weichen Faktoren und messbaren Ergebnissen wird allgemein als komplex wahrgenommen und in den meisten Unternehmen nicht systematisch erfasst. Dem überwiegenden Teil der Führungskräfte ist es nicht klar, welche kulturellen Werte gesteuert werden können, um schliesslich die Ertragskraft und Ausstrahlung des Unternehmens positiv zu beeinflussen.

Wissenschaftliche Forschungsergebnisse (Maerki 2009) mit ausgewählten Schweizer Unternehmen zeigen, dass die Dimensionen der Unternehmenskultur

  1. Entscheidungsbefugnis, (2) offene Kommunikation, (3) Wertschätzung der Mitarbeitenden und (4) unternehmerische Einigkeit in direktem, teilweise verstärkendem Zusammenhang mit den zukünftigen Leistungsindikatoren (A) Kundenorientierung, (B) Geschäftsinnovation und (C) Alignment stehen.

Ausblick

Diese Leistungsindikatoren spiegeln stets den aktuellen Stand der Unternehmenskultur und des -verhaltens wider und stehen in direktem Zusammenhang mit zukünftigen EBIT-Margen. Richtig eingesetzt, steigern sie die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens (Martins 2000). Erfolgreiche Führungskräfte verwenden die beschriebenen verstärkenden Zusammenhänge, um die künftige finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens durch kulturelle Werte, die über die nicht finanziellen Leistungsindikatoren verknüpft sind, zu steigern.

Im zweiten Teil dieses Artikels werden wir einen Vorschlag zur Umsetzung unterbreiten und die praktischen Erfahrungen eines Schweizer KMUs wieder geben.

(Erstpublikation: Management und Qualität, 3-4 2022)

Bernhard Frei, Dr. BWL, M.Sc. Mechatronik

ist Dozent für Digitalisierung, Service Transformation und Digitalisierung an diversen Hochschulen der Schweiz und Direktor Corporate Development bei der PROSE AG in Bern.