Kultur und Strategie als Symbiose des Erfolgs
Der viel zitierte Satz «Culture eats strategy for breakfast» wird Peter Ferdinand Drucker zugeschrieben, dem Pionier der modernen Managementlehre. Der Beitrag befasst sich damit, wie viel Wahrheit in diesem Aphorismus steckt, befasst sich mit dem Verhältnis von Strategie und Kultur und damit, was Kultur und Strategie können oder auch nicht können.
Kultur geht über die Haltung der Mitarbeitenden hinaus. Was sie beinhaltet, wie sie in einem Unternehmen gelebt wird und was dabei auch strategisch beachtet werden muss, ist bei Weitem nicht trivial.
Der wirtschaftliche Vordenker Peter Drucker genoss zu Lebzeiten weltweite Anerkennung und erreichte nach seinem Ableben den Status des «Erfinders vom Management» als Disziplin. Als solch eine Koryphäe verwundert es nicht, dass er zu einer beliebten Quelle beflügelter Zitate wurde – das Berühmteste ist vielleicht «Culture eats strategy for breakfast». Ironischerweise stammt gerade dieser Aphorismus nicht von ihm. Der Satz findet man auch in leicht abgewandelter Form: «Culture eats strategy for lunch». Was aber ist damit gemeint und stimmt er überhaupt? Im Folgenden wird auf zwei Verständnismöglichkeiten eingegangen und es werden Implikationen für Unternehmensverantwortliche abgeleitet. Die zwei Verständnismöglichkeiten:
- Strategie zählt kaum – hauptsache, die Leute sind motiviert.
- Strategie hat nur so viel Wert wie ihre Implementierung.
Strategie zählt kaum
«Strategie zählt kaum – hauptsache, die Leute sind motiviert» – diese Deutung des genannten Aphorismus drückt Skeptizismus gegenüber Strategie als langfristigem Plan aus. Wenn man nämlich bedenkt – so die Logik des Arguments – wie oft, grundlegend und in schnellem Tempo die Umwelt, in der ein Unternehmen agiert, sich ändert, so kann die Absicht einer frühen und starren Festlegung der Unternehmensausrichtung auf mehrere Jahre hinaus als sinnlos, überheblich oder schlicht zum Scheitern verurteilt taxiert werden.
Mit Wille und Zuversicht ans Ziel
Bei einer schlecht vorhersagbaren Umwelt zählt viel mehr die Wandelbereitschaft einer Organisation, ihre Anpassungsfähigkeit oder, wie man sie auch nennt: ihre Agilität. Was ein Unternehmen unter solchen Umständen erreichen kann, hängt dieser Auffassung nach vom Willen der Beteiligten ab, Herausforderungen anzupacken, Altes zu verlassen und sich rasch mit Neuem auseinanderzusetzen. Das wird dann unter dem Oberbegriff der Kultur eingeordnet.
Die extreme Variante dieser Denkweise hat der Organisationsforscher Karl Weick geliefert, indem er die missliche Lage einer ungarischen Patrouille schilderte, die zwecks eines Militärmanövers in den Schweizer Alpen unterwegs war. Ihr Leutnant hatte sie zur Aufklärung hinausgeschickt, als sie von einem heftigen Schneesturm überrascht wurde. Zwei Tage lang galt die Patrouille als verschwunden, aber am dritten Tag fand sie unverhofft zur Basis zurück. Die Soldaten berichteten von ihrer anfänglichen Verzweiflung, bis einer von ihnen eine Landkarte bei sich gefunden hatte. Da schöpften sie neue Hoffnung, sie überstanden die Nächte in notdürftigen Unterschlüpfen und fanden schliesslich dank der Karte den Weg zurück. Der Leutnant, dem ein Stein vom Herzen gefallen war, als er seine Männer lebend zurückkommen sah, bat die Truppe, ihm die wertvolle Karte zu zeigen. Mit Staunen stellte er dabei fest, dass die Karte nicht die Alpen, sondern die Pyrenäen abbildete!
Die Geschichte entbehrt angeblich einer historischen Grundlage, ihre Botschaft aber ist einprägsam: Nicht der Inhalt der Karte war für die Rettung der Soldaten entscheidend, sondern der unbändige Wille der Männer, das Ziel zu erreichen, und ihre Zuversicht, dass es ihnen gelingen würde. Im übertragenen Sinne bestimmt nicht der Inhalt einer Strategie den Erfolg einer Organisation, sondern die Motivation der Mitglieder, ihr Durchhaltevermögen, ihre Überzeugungen, ihr Zusammenhalt, sprich ihre Kultur.
Wenn Strategie einen Nutzen haben soll, dann einen rein symbolischen. Sie erfüllt ihren Zweck, wenn sie das Gefühl vermittelt, in der Umwelt eine erfolgs versprechende Orientierung zu bieten, ganz egal, was sie tatsächlich vorschreibt. Mit den eigenen Worten von Weick: Strategie ist eine Frage der Motivation (1987). Die Implikationen für das Management sind offensichtlich: Anstatt sich den Kopf über die «richtige» Stossrichtung für das Unternehmen zu zerbrechen, soll es dafür sorgen, dass trotz Widrigkeiten die Mannschaft engagiert und zuversichtlich bleibt.
Die wandelfähige Organisation
Wie weit kann diese Haltung eine Organisation zum Erfolg führen? In meiner eigenen Forschung (2008) bin ich wiederholt auf KMU in der Schweiz und im benachbarten Ausland gestossen, die auf Strategie im Sinne eines Plans mit Zielen und voraus ausgearbeiteten Massnahmen verzichten und auf dieser Art über mehrere Jahre, gar Jahrzehnte erfolgreich wirtschaften. Was sie auszeichnet, ist eine unternehmerische Führung, die Chancen erkennt und rasch nutzt, dafür ebenso entschlossen von Geschäften austritt, wenn diese ihre Ertragskraft nicht bestätigen beziehungsweise nachhaltig verlieren.
Solch ein Verhalten erfordert eine tatsächlich wandelfähige Organisation. Zu diesem Zweck wählen die Geschäftsleitenden der Unternehmen, die ich untersuchen durfte, eine modulare Struktur, die nicht auf die maximale Effizienz getrimmt ist, dafür eine hohe Wirksamkeit im Markt ermöglicht. Konkret heisst das, dass mehrere, kleinere Geschäftseinheiten aufgebaut werden. Unter diesen werden Doppelspurigkeiten bewusst toleriert und es wird auf mögliche Synergien zugunsten einer höheren Handlungsfähigkeit der einzelnen Organisationseinheiten verzichtet. Mit einem einfachen, aber realen Beispiel: Lieber stellt man einen zweiten Elektriker ein, der nicht stets zu 100 Prozent ausgelastet ist, als dass die Maschinen stillstehen, bis der einzig verfügbare wieder freie Kapazitäten hat.
Wenn allerdings die Organisation über eine gewisse Schwelle hinauswächst (Anzahl Mitarbeitende/Geschäftseinheiten), entwickelt sich zwangsläufig eine gewisse Schwerfälligkeit, was wiederum die Notwendigkeit einer frühzeitigen Steuerung der Tätigkeiten steigen lässt. Noch wichtiger als das dimensionale Wachstum, weil früher und eigenständig wirksam, sind die Investitionsintensität und der Zeithorizont von Neuentwicklungen. In Branchen mit langen Entwicklungszyklen und hohem Investitionsbedarf – Luftfahrt, Medtech, Mikrochipherstellung – definieren die Unternehmen lange im Voraus ihre strategischen Stossrichtungen und verfolgen sie konsequent. «Navigieren auf Sicht» wäre unter solchen Umständen schlichtweg nicht möglich.
Ohne Implementierung wertlos
«Strategie hat nur so viel Wert wie ihre Implementierung» – auch in dieser zweiten Interpretation des Aphorismus wird Strategie gleich Plan und Kultur gleich Haltung der Organisationsmitglieder gesetzt. Die Übermacht der Kultur rührt hier aus der Trennung zwischen Erarbeitung und Umsetzung der Strategie her, denn die zwei Aufgaben werden von unterschiedlichen Personen vorgenommen.
Die extreme Variante davon findet man in einer strikt hierarchischen Organisationsstruktur wieder, wie einer traditionellen Armee. Die Befehlshaber analysieren die Lage und schmieden die Pläne. Die Truppe setzt die Pläne um. Eine Spezialrolle haben die Offiziere, die dazwischenstehen und für die absichtsgetreue Weitergabe der Befehle zuständig sind und die Truppe bei der Umsetzung anleiten. Ähnlich geht es in einem hierarchisch geführten Unternehmen. Die Geschäftsleitung definiert die strategische Ausrichtung und zumindest grob die Massnahmen zur Umsetzung. Das mittlere Management konkretisiert die Massnahmen und sorgt für ihre Realisierung. Von den Mitarbeitenden wird die Umsetzung verlangt.
Trägheit und Widerstand
Der Skeptizismus richtet sich diesmal nicht gegen den Inhalt der Strategie, sondern gegen die Haltung der Organisationsmitglieder, die sie umsetzen sollen. Ihre Vertrautheit mit dem «business as usual» bewirkt Trägheit – in schwerwiegenderen Fällen sogar Widerstand gegen über Veränderungen. Letzterer kann sich auf verschiedenen Ebenen der Organisationsstruktur bilden, anfangend auf Stufe des Topmanagements. Wenn einzelne Mitglieder den beschlossenen Zielen und Massnahmen kritisch gegenüberstehen, können sie sie offen oder verdeckt zu sabotieren versuchen.
Des Öfteren kann Widerstand im mittleren Management entstehen, wenn sich dieses zu wenig einbezogen, nicht angehört oder überrumpelt fühlt. Sein Widerstand ist dann am wirksamsten, wenn es seine Rolle als «Antriebsriemen» zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitende ganz verweigert oder sie so widerwillig ausübt, dass die Mitarbeitenden weder von der Notwendigkeit noch von den Vorteilen der neuen Ausrichtung überzeugt werden. Somit ist eine engagierte Ausführung der Massnahmen zur Umsetzung der Strategie ausgeschlossen, was deren Scheitern bewirkt.
Anders als bei der ersten Deutung von «culture eats strategy» leugnet diese zweite die Möglichkeit nicht, dass in der Strategie die Umwelt passend erfasst und die Massnahmen zur erfolgreichen Positionierung der Organisation zielführend definiert werden. Sie betont aber, dass der Nutzen der Strategie nicht realisiert wird, wenn die Organisation – sprich die Mitarbeitenden – nicht entsprechend entschlossen handelt.
Eine häufig heraufbeschworene Lösung zur Vorbeugung solcher Misserfolge ist, Strategieentwicklung als kollektiver Prozess und gemeinsames Unterfangen der ganzen Organisation zu gestalten. Vieles spricht dafür, zumindest im Prinzip einiges auch dagegen. Sind alle daran beteiligt – so die Devise –, werden alle überzeugt zur Umsetzung beitragen. Wie aber Baer, Dirks und Nickerson (2013) argumentiert haben, liegt die Krux gerade in der Heterogenität der Beteiligten am Prozess. Die Vielfalt an Perspektiven hat nämlich das Potenzial, alle relevanten Facetten einer Problemstellung hervorzubringen und dadurch zu besseren Lösungen zu führen.
Heterogenität als Hürde
Es ist aber von Potenzial die Rede, nicht von Ergebnis, denn Heterogenität hat drei mächtige Gegenseiten, die der Verwirklichung von Potenzial im Wege stehen: 1. Unterschiedliche Ziele und Interessenlagen; 2. unterschiedliche Informationsstände; 3. unterschiedliche Denkstrukturen. Wenn man noch die begrenzte Rationalität der Menschen, die limitierten zur Verfügung stehenden Ressourcen und die beschränkte Zeit dazuzählt, dann ist es wahrscheinlicher, dass nicht die optimale, sondern nur die erstbeste Lösung gewählt wird.
Die angedeuteten Herausforderungen erlebt man schon im Rahmen von Projekten, wenn Mitarbeitende unterschiedlicher Funktionen – eventuell auch aus verschiedenen Hierarchiestufen – über Inhalt und Umsetzung des Projekts diskutieren. Es lässt sich leicht erahnen, welches Ausmass die Schwierigkeiten annehmen würden, wenn in der Diskussion alle Mitarbeitende einer Organisation einbezogen wären und diese nicht zu einem klar eingegrenzten Projekt, sondern über die Gesamtstrategie des Unternehmens stattfinden würde.
Praktikabler erweist sich ein Ansatz zur Strategie, bei dem die Umsetzung nicht als Aufgabe zweiter Klasse behandelt wird. Das Management soll eine aktive und kohärente Kommunikation pflegen, die die Gründe des Wandels erläutert, die Risiken des Status quo hervorhebt sowie die Vorteile der angestrebten Ver änderung deutlich macht – und zwar für die Organisation als Ganzes wie auch für die Einzelnen.
Das Herunterbrechen der Ziele auf allen Organisationsebenen und die Verbindung zum Tagesgeschäft kann anhand einer Balanced Scorecard sichergestellt werden. Parallel wird das Management gezielt auf die Kultur des Unternehmens einwirken, um mögliche Hürden zur Umsetzung auszuräumen und förderliche Bedingungen zu schaffen.
Schlussbemerkung
Eine Strategie zu haben, sichert nicht per se den Erfolg, denn es gibt auch schlechte Strategien. Wenn in einer Strategie Chancen und Risiken übersehen, Kundenbedürfnisse missverstanden und das Verhalten der Wettbewerber falsch eingeschätzt werden oder wenn auf Technologien gesetzt wird, die überholt sind oder sich nicht behaupten, dann wird die Strategie schlecht sein.
Nicht schlecht, aber unbrauchbar sind dagegen Strategien, die nur aus warmer Luft bestehen. Wenn in der Strategie eines Unternehmens verkündet wird, die Kunden begeistern, die Mitarbeitenden fördern und die berechtigten Ansprüche aller Stakeholder berücksichtigen zu wollen, dann hat das Unternehmen höchstens gute Absichten, jedoch noch keine Strategie.
Auf ein Minimum reduziert besagt nämlich Strategie, was (Produkte / Dienstleistungen), für wen, wo (spezifische Kundenbedürfnisse / Märkte), womit (Technologien) ein Unternehmen anbieten will, und wie beziehungsweise wodurch sich das eigene Angebot von demjenigen der Konkurrenz abhebt. Allenfalls gibt sie noch Auskunft zu Distributionskanälen und Partnerschaften sowie zum Zeithorizont, innerhalb dessen die Ziele erreicht werden sollen.
Kultur vermag gute Strategien zu torpedieren – «aufzufressen», wie im zitierten Aphorismus genannt –, wird aber keine schlechte Strategie vollständig kompensieren können. Wenn in einem Unternehmen Bereitschaft gepflegt wird, zuzuhören, wird es möglich sein, dass Fehler in der strategischen Ausrichtung frühzeitig aufgedeckt und mögliche Lösungswege aufgezeigt werden. Somit bestünden Chancen, dass auch eine schlechte Strategie korrigiert werden kann.
Kultur umfasst jedenfalls mehr und auch anderes als die Haltung der Mitarbeitenden. Was hochgehalten wird und was unbeachtet bleibt, was zulässig ist und was nicht toleriert wird, was Konsequenzen hat und was honoriert wird, das alles ist Ausdruck der Werte einer Organisation und der Kern ihrer Kultur. Will das Management die Kultur des Unternehmens ändern, so soll es an den gelebten Werten arbeiten und sie ausdauernd ändern.
(Erstpublikation: KMU-Magazin Nr. 7/8, Juli/August 2023)