Sarah Grimm, Jasmin Joecks und Tanja Mütsch 11.06.2024

Teilen macht froh: Topsharing – Chancen und Herausforderungen von geteilter Führung

Auf den ersten Blick scheinen Führungsrolle und Teilzeitpensum nicht vereinbar zu sein. Auf den zweiten Blick ergeben sich unerwartete Chancen. «Topsharing» kommt dem wachsenden Bedürfnis nach Teilzeitarbeit in Führungspositionen entgegen und hilft, Personalengpässe zu überwinden. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat Erfahrungen von Beschäftigten und Unternehmen zusammengetragen.

(Dies ist eine gekürzte Version des Fachartikels. Den Link zum vollständigen Beitrag finden Sie weiter unten.)

Der Fachkräftemangel ist nicht mehr nur ein strategisches Thema, sondern eine operative Herausforderung, alle notwendigen Stellen zu besetzen. Und die Lage spitzt sich weiter zu. Der Fachkräftemangel­-Index der Schweiz erreichte 2022 ein historisches Rekordhoch. In Deutschland sieht die Situation nicht anders aus. Auch hier berichtet die Bundesagentur für Arbeit von einem Arbeits­ und Fachkräftemangel.

Gleichzeitig zeigt ein Blick auf die Statistik, dass das Bedürfnis nach Teilzeitarbeit steigt – kein kurzfristiger Trend, sondern eine nachhaltig positive Entwicklung. Im Jahr 1991 arbeiteten gemäss dem Schweizerischen Bundesamt für Statistik 49 Prozent der Frauen und 7,8 Prozent der Männer mit einem Teilzeitpensum. 2021 waren es weitaus mehr Personen, die nicht Vollzeit arbeiteten, nämlich 58,6 Prozent der Frauen und 18,2 Prozent der Männer. Die Schweiz weist dabei im Ländervergleich nach den Niederlanden den zweithöchsten Anteil an Teilzeitbeschäftigten auf. 

Topsharing wird nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern in Betracht gezogen. Unser Beitrag ergänzt einige modellhafte Auflistungen möglicher Auswirkungen um eine empirische Analyse aus Sicht der Topsharerinnen und Topsharer sowie der Unternehmensvertreterinnen und -vertreter und geht auf die Chancen und Herausforderungen aus der Perspektive von Arbeitnehmenden und Unternehmen ein.

Methodik der Studie

Die qualitativen Daten unserer Analyse stammten aus leitfadenbasierten Interviews. Im Durchschnitt dauerte ein Interview 45 Minuten. Die Auswertung der Interviews konzentriert sich auf die zentralen Schlüsselkategorien, also diejenigen, die am häufigsten in den Interviews genannt wurden.

 

Chancen aus Sicht der Topsharerinnen und Topsharer

Die Interviews zeigen, dass eine der grossen Chancen von Topsharing ist, dass die Erwerbs- ­und Familienarbeit oder die Erwerbs- und Freizeitaktivitäten miteinander vereinbart werden können, ohne dass ein Bereich zu kurz kommt. Der Wunsch, eine Familie zu gründen, bedeutet somit nicht mehr automatisch eine längere Erwerbsunterbrechung, sondern die elterlichen Erziehungsaufgaben und die Hausarbeit können zwischen teilzeitig arbeitenden Lebenspartnerinnen und -partnern aufgeteilt werden.

Zu den Beweggründen, in einer Führungsposition im Topsharing tätig zu sein, gehört der Wunsch nach einem qualifizierten Führungsjob und dennoch ausreichend Zeit für die Familie oder eine Weiterbildung.

Topsharing gibt den Arbeitnehmenden eine grössere Flexibilität und entkräftet die gängige Vorstellung oder Erwartung in vielen Unternehmen, dass Führungskräfte überdurchschnittlich viel Zeit und Energie investieren müssen und einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind. Es geht dabei nicht um das Prestige, eine Führungsposition bekleiden zu können, sondern es ist den Befragten wichtig, sich stetig weiterzuentwickeln, aus der Komfortzone rauszukommen und Neues zu lernen.

Ein weiterer Vorteil ist, dass jeder entsprechend seiner Stärken und Kompetenzen arbeiten kann, wie eine Interviewpartnerin anmerkt, die als General Manager in der Gastronomie tätig ist. Denn das bietet den Vorteil, dass jeder seinen Stärken entsprechend arbeiten kann. Die inhaltlichen Aufgaben können untereinander aufgeteilt werden, sodass diese bestmöglich auf die eigenen Bedürfnisse und Kompetenzen abgestimmt sind. Es können nicht nur Aufgaben geteilt werden, sondern auch arbeitszeitliche Vorlieben besser aufeinander abgestimmt werden.

Herausforderungen aus Sicht der Topsharerinnen und Topsharer

Nach den Herausforderungen gefragt, bringen die Topsharerinnen und Topsharer vor allem die gesellschaftlichen Voraussetzungen ins Spiel. Diese sind aus ihrer Sicht nicht so weit entwickelt, dass ein modernes Arbeitszeitmodell wie Topsharing verbreitet Fuss in den Unternehmen fassen kann. Damit das gesamte auf dem Arbeitsmarkt verfügbare Potenzial genutzt werden kann, sollten sowohl Frauen als auch Männer gewillt sein, eine Führungsposition in Teilzeit auszuüben, wie eine Interviewpartnerin erläutert. Zudem setzt die Schaffung von TopsharingStellen genügend Teilzeitstellen in Führungspositionen voraus. Dazu braucht es Männer, die bereit sind, Teilzeit zu arbeiten.

Chancen aus Sicht der Unternehmen

Unsere Interviews deuten darauf hin, dass qualifizierte Mitarbeitende, die über ein grosses Wissen verfügen und aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr Vollzeit arbeiten können oder möchten, mit Topsharing im Unternehmen gehalten werden können. Topsharing könnte ein vielversprechender Ansatz sein, die Attraktivität eines Unternehmens zu steigern, indem Arbeitnehmende die Möglichkeit erhalten, nicht auf Führungsverantwortung verzichten zu müssen und gleichzeitig ihre Work-­Life-Balance zu steigern. Das führt wiederum zu einer Verringerung der Fluktuationskosten.

Herausforderungen aus Sicht der Unternehmen

Zu Beginn des Topsharing braucht es eine gewisse Eingewöhnungszeit für alle Beteiligten, bis die Kommunikationsabläufe abgestimmt sind und reibungslos funktionieren. Das ist wiederum mit mehr Führungsaufwand für die Vorgesetzten verbunden, was zeitliche Ressourcen kostet.

Auch arbeitsvertragliche Anpassungen müssen vorgenommen werden, da bei der Kündigung der einen Person die andere Sharing-­Person weiterhin im Unternehmen verbleibt.

Fazit

Sowohl Arbeitnehmende als auch Unternehmen können stark von einem Topsharing-­Modell profitieren. Arbeitnehmende erhalten die Möglichkeit, verantwortungsvolle Positionen zu übernehmen und gleichzeitig eine ausgeglichene Work-­Life-­Balance zu erreichen. Durch Topsharing können der starke Druck und Stress einer Vollzeitstelle in Führungspositionen verringert werden, wodurch sowohl Frauen als auch Männer ihre Karriere trotz Familie, Weiterbildung oder ehrenamtlichen / politischen Aktivitäten ausserhalb des Unternehmens vorantreiben können. Und dies wirkt sich äusserst positiv auf die wahrgenommene Attraktivität eines Arbeitgebers aus. Auch bei organisatorischen Veränderungen oder personellen Wechseln kann Topsharing eine angemessene Arbeitsform sein, sodass ein reibungsloser Übergang durch die Bewahrung des betrieblichen Know­hows ermöglicht wird.

Um die Chancen zu nutzen, die Topsharing bietet, gilt es, Vorstellungen geschlechtsstereotypischer Arbeitszeitmodellen zu überwinden. Die Herausforderung besteht darin, passende Topsharing-Tandems zu gewinnen und/oder zu halten. Wenn das gelingt, ist Topsharing für Unternehmen ein vielversprechender Ansatz, um der steigenden Nachfrage von Arbeitnehmenden nach Teilzeitarbeit in Führungspositionen gerecht zu werden und damit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Während die Studie erste Einblicke in die Ansichten von Topsharerinnen und Topsharer sowie Unternehmensvertreterinnen und -vertreter gegeben hat, ist eine allgemeingültige Aussage über Chancen und Herausforderungen von geteilter Führung in Unternehmen auf dieser Basis der qualitativen Interviews kaum ableitbar. Hier bieten sich quantitative Erhebungsmethoden als Ansatzpunkte für zukünftige Forschung an, um ein umfassenderes Bild davon zu erhalten, inwieweit es Unterschiede bei den Chancen und Herausforderungen zwischen Ländern, Branchen und auch unterschiedlichen Persönlichkeiten gibt. Die Studie konnte erste Ansatzpunkte liefern, die es nun weiter zu untersuchen gilt, um das Potenzial von Topsharing auszuschöpfen.

(Erstpublikation: Personalführung, Nr. 5, 2024)

Sarah Grimm

ist Legal Assistant bei der Anwaltskanzlei Walder Wyss AG, Zürich.
 

Tanja Mütsch

ist Inhaberin der Unternehmensberatung The Success Partners, Jona / Schweiz, und Lehrbeauftragte an der Kalaidos Fachhochschule Schweiz, Zürich.