«Verteufeln bringt nichts»
Digitale Gesundheitsapps, etwa zur Ernährungsumstellung, sind beliebt. Es zeichnet sich ab, dass digitale Tools mithilfe von KI in Zukunft immer mehr Aufgaben eines Ernährungsberaters übernehmen. Doch kann die KI auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Beraterin ersetzen?
Was habe ich die ganze Woche über gegessen? Digitale Apps helfen beim Erstellen eines Ess-Tagebuchs. (Foto: Eaters Collective/unsplash)
Eine App erfasst mein Gewicht sowie meine Körpergrösse und fragt mich nach Vorerkrankungen. Aufgrund dieser persönlichen Daten gibt sie mir Tipps für die Ernährungsumstellung, schlägt Übungen vor und erfasst meine Fortschritte in einem Foto-Esstagebuch. Digital unterstützte Ernährungsberatung wie Oviva bietet eine personalisierte Begleitung für Menschen, die beispielsweise ihre Ess- oder Bewegungsgewohnheiten ändern möchten. Oviva ist eine Kombination zwischen App und persönlicher Ernährungsberatung durch ausgebildete Ernährungsfachpersonen und wird von Krankenkassen anerkannt.
«Die Vorteile einer digitalen Anwendung sind sicher die zeitliche Flexibilität und die geringere Hemmschwelle. Eine App ist im Gegensatz zu einer Ernährungsberaterin auch morgens zwischen drei und fünf Uhr erreichbar», sagt Jacqueline Javor Qvortrup, die an der FFHS die beiden Bachelorstudiengänge «Ernährung und Diätetik» sowie «Ernährung und Gesundheit» leitet. Die Patienten seien bei einem Chatbot weniger gehemmt, mehrmals die gleichen Fragen zu stellen. Auch für Beratende kann KI gemäss Javor Qvortrup durchaus nützlich bei repetitiven Aufgaben sein, wenn Unterlagen zu Ernährungsfragen zusammengestellt oder Berichte formuliert werden müssen. Das spart Zeit und Ressourcen.
Food Scanner gegen Mangelernährung
Aufsehen erregt hat kürzlich der schweizweit einzige Food Scanner im Basler Spital «Universitäre Altersmedizin Felix Platter». Der Scanner überwacht mittels KI, ob die Patientinnen genug essen. Wieviel Essen wieder in die Spitalküche zurückkommt, ist ein wichtiger Indikator und kann helfen Mangelernährung, ein Risiko gerade bei älteren Patientengruppen, vorzubeugen. Via 3D-Kamera werden die Teller vor dem Abwaschen gescannt und die KI berechnet, wie viel tatsächlich gegessen wurde. In Zukunft sollen noch genauere Daten mit Angaben zu aufgenommenen Nährstoffen, Kohlenhydraten, Proteinen und Kalorien pro Patient möglich sein.
Die Möglichkeiten von KI-Anwendungen in der Ernährungsberatung lassen sich noch weiterdenken. Wenn eine App in der Lage ist, individuelle Daten, etwa zu Therapiefortschritten oder Essenstagebüchern, laufend zu erheben und zu analysieren, kann sie daraus KI-basiert personalisierte Behandlungsempfehlungen ableiten. So könnten Aufgaben wie etwa die Anamnese oder die Erstellung von Ernährungsprotokollen und Diätplänen komplett automatisiert werden. Denkbar ist auch ein Einsatz von KI zur Erstellung eines digitalen Zwillings eines Patienten. Diese können anhand von genetischen und physiologischen Daten eine Simulation eines Gesundheitszustandes herstellen und so die weiteren Therapieansätze definieren.
«Sicher machen auch Menschen Fehler. Aber ein Mensch merkt eher als eine KI, wenn eine Empfehlung falsch war.»
Empathie, Gefühle, Wertschätzung
Doch wird eine KI eine menschliche Ernährungsberaterin ersetzen können? «Sag niemals nie», meint Jacqueline Javor Qvortrup mit Blick auf die Zukunft. Sie fügt aber direkt an, dass KI heute noch weit davon entfernt sei, die menschliche Beziehung zwischen Klienten und Beratenden zu ersetzen. Eine Ernährungsberatung sei nicht nur eine rein sachliche Angelegenheit, es gelte auch, die Gefühlslage eines Patienten zu erkennen und darauf zu reagieren. «Empathie, Wertschätzung und aktives Zuhören gehören ebenso dazu», so Javor Qvortrup. Eine Beratungsperson müsse die Gefühlslage der Patientinnen erfassen und darauf reagieren können. Noch wichtiger ist gemäss Javor Qvortrup jedoch die Reaktion auf Fehler: «In der Ernährungsberatung kann es um Leben und Tod gehen». Eine KI könne nur Wissen wiedergeben, mit welchem sie zuvor gefüttert worden ist, aber sie könne nicht kontrollieren, ob es stimmt. «Sicher machen auch Menschen Fehler. Aber ein Mensch merkt eher als eine KI, wenn eine Empfehlung falsch war.»
Wie in vielen anderen Feldern bietet die Anwendung von KI auch in der Ernährungsberatung vielfältige Möglichkeiten und kann zeitliche Ressourcen freimachen, die dann anderweitig in die Begleitung von Patienten eingesetzt werden können. Daher ist der Umgang mit digitalen Hilfsmitteln ein wichtiges Thema, das in die Ausbildung von Ernährungsfachpersonen einfliessen muss. Gemäss Jacqueline Javor Qvortrup sei es wichtig, dass Studierende für die neuen Möglichkeiten sensibilisiert werden. Sie müssten aber auch die Grenzen dieser Technologien kennen und sie kritisch hinterfragen können. Angesichts der Risiken und der vielfältigen Chancen hält sie fest: «Verteufeln bringt nichts».