27.04.2020

Der Chef als Coach im Prozess der digitalen Transformation

Gerade im Gesundheitsbereich sind viele Einrichtungen noch zurückhaltend mit der Einführung elektronischer Lösungen. Mitarbeitende und Chefs fürchten den Aufwand. Die Digitalisierung verhilft dabei zu schlankeren Prozessen und besseren Dienstleistungen.

Individuelle und organisationale Gesundheit werden zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor für ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen. Die Wirtschaft befindet sich in einem starken Wandel: Der Trend zu höherer Volatilität und Dynamik verstärkt sich, das politische und gesellschaftliche Unternehmensumfeld wird instabiler. Darüber hinaus treiben gesetzliche Vorgaben die digitale Transformation und E-Health in Schweizer Spitälern und Heimen voran. Auf Führungskräfte kommen dabei nicht nur zusätzliche Aufgaben zu, sie müssen auch ihre Rollen überdenken.

«Durch eine bessere Vernetzung der Anbieter können Leistungen optimiert werden.»

Prozesse müssen angepasst werden

Der starke wirtschaftliche Wandel führt zum einen dazu, dass die VUCA-Faktoren (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) an Bedeutung gewinnen und Manager und Mitarbeitende einmal mehr gezwungen sind, die Unternehmensstrukturen und -prozesse dem dynamischen Kontext anzupassen. Im Gesundheitsbereich geht die digitale Transformation mit E-Health dabei weit über die Einführung des elektronischen Patientendossiers hinaus. Gefordert ist die Digitalisierung aller Prozesse, von der Datenerfassung über den Datenaustausch bis hin zurArchivierung. Diese wachsenden Herausforderungen der digitalen wie organisationalen Transformation stellen Mitarbeitende, Führungskräfte und Unternehmen vor neue Aufgaben.

Ein Treiber für die integrierte Versorgung

Um die Anforderungen an die Zukunft wirtschaftlich zu erfüllen, braucht es digitale Lösungen. Diese müssen aber durchdacht sein, schliesslich geht es darum, Mitarbeitende maximal zu entlasten und ihnen mehr Zeit für die Pflege der Bewohner und Patienten einzuräumen. Der Wunsch- und Anforderungskatalog reicht hier von Entlastung der körperlich schweren Arbeit über Unterstützung während ressourcenknappen Zeiträumen (zum Beispiel der Nachtschicht) über Routinearbeiten bis zur Dokumentation und Kommunikation. Vielerorts ist man mit der digitalen Transformation jedoch noch nicht weit fortgeschritten. Die Gründe für den Verzicht auf elektronische Systeme liegen in der fehlenden Verfügbarkeit von Systemen, die den Bedürfnissen entsprechen, der Unsicherheit betreffend Datensicherheit oder der mangelhaften Transferierbarkeit in andere Datensysteme. Eine wesentlich längere Liste an Gründen für den Verzicht liegt im persönlichen Empfinden von Mitarbeitenden und Führungskräften. So etwa, dass der Aufwand zu gross sei, es sich nicht lohne, der Betrieb zu klein sei oder die Abhängigkeit von IT-Firmen Gefahren berge. Weiter sei der gesamte Pflegeprozess gestört und der aufwendige Daten-Eingabe-Prozess würde noch nicht einmal vergütet.

Es verwundert nicht, dass in Zeiten von Personalmangel und Kostendruck eher mit Vorsicht und schützender Abwehrhaltung reagiert wird. Doch wird das Potenzial der Digitalisierung als Treiber für die integrierte Versorgung und eine verbesserte Leistungserbringung unter anderem auch dank besserer Vernetzung dabei unterschätzt. Wer soll und kann dieses Potenzial aufzeigen, ein Umdenken und die Auseinandersetzung vorantreiben? Auf Mitarbeitende wie Führungskräfte kommen zusätzliche Aufgaben zu, die auch dazu führen die Rolle der Führungskraft neu zu überdenken.

«Gute Informationen helfen dabei, dass Mitarbeitende Ängste abbauen können.»

Führungskräfte haben eine besondere Verantwortung

Stressfaktoren wie Sozialklima, Ressourcenknappheit und Führungsverhalten sorgen in Heimen und Spitälern nicht nur für viele Krankheitstage, sondern auch für einen ausgeprägten Präsentismus, also Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz gesundheitlicher Beschwerden. Kraft für die tägliche Arbeit schöpfen insbesondere diejenigen, die das Gefühl haben, bei der Arbeit etwas Sinnvolles zu tun. Dabei können Führungskräfte einen wesentlichen Anteil zur Verbesserung der Situation leisten, denn für die organisationale Gesundheit ist ein vernünftiger Umgang mit Krankheit am Arbeitsplatz entscheidend. Gesundheit ist als zentraler Massstab für den persönlichen Erfolg wie auch für die Leistung des Teams und der Organisation anzusetzen. Wer für sich selber Ausgleiche schafft und diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglicht, kann bewusst beobachten, ob und inwiefern fitte und gesunde Mitarbeitende höhere Leistungen erzielen, kollaborativer und besser abgestimmt arbeiten. Gesundheit und Leistung verstärken sich und sorgen für nachhaltige Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Bemühungen um einen psychisch sicheren und gesunden Arbeitsplatz
zahlen sich aus. Eine unternehmensweite Auseinandersetzung mit dem Thema Gesundheit und Leistung muss nicht zwingend als Projekt im Unternehmen angestossen werden. Wenn Mitarbeitende wie Führungskräfte sich selber und die direkten Kollegen besser verstehen lernen, ist ein wichtiger erster Schritt gemacht. Als Führungskraft das Gespräch zu Fehltagen oder Überstunden anstossen ist ein weiterer. Im (Führungs-)Team nach einfachen, ursachenorienterten Lösungen suchen, die auf gesammelten Fakten, Meinungen und Perspektiven zum individuellen und organisationalen Gesundheitszustand basieren, kann ein nächster Schritt sein.

Mitarbeitende sollen spüren, dass sie selbst Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen müssen. Führungskräfte müssen sie dabei unterstützen ohne sie zu bevormunden. Die Führungskraft ist ein Unterstützer und «Möglich-Macher». So kann durch zielgerichtetes Fragen ein Mitarbeitender bei der Lösungssuche unterstützt werden. Ganz entscheidend ist hier die Einstellung und Kompetenz der Führungskraft sowie ihr Rollenverständnis. Die Führungskraft wird in Unternehmen und Organisationen, die Wert auf verantwortungsbereite Mitarbeitende legen, zum Coach. Die Beziehungsgestaltung findet auf «Augenhöhe» statt, und die Bereitschaft, die digitale Transformation mitzugestalten wächst oder wird positiv beeinflusst.

«Ein Führungsteam, das eine Vision lebt, sorgt für Orientierung in der Veränderung.»

Zu den Aufgaben der Führungskraft im Zuge der Digitalisierung gehören weit mehr Verantwortlichkeiten als bis anhin. Die Führungskraft wird zum Coach, der als Unterstützer die digitale Transformation vorantreibt. Um diese Herausforderung zu meistern, sollten Führungskräfte folgende Punkte berücksichtigen:

  • Mitarbeitenden die Notwendigkeit aufzeigen
    Es braucht eine umfangreiche Information an die Mitarbeitenden, welche Möglichkeiten sich mit der Digitalisierung in Zukunft bieten. Dabei ist ganz wichtig, dass auch Ängste, Hindernisse, Blockaden angesprochen werden. Vermeiden sie also einen «happy talk» und bleiben sie offen und ehrlich über zusätzlichen Aufwand. Schön-Wetter-Vorträge sorgen nicht für das benötigte Vertrauen. Machen sie deutlich, wie sie die Veränderung und die daraus resultierenden Verbesserung messen wollen, sodass die nötige Transparenz geschaffen werden kann. Machen sie auch deutlich, dass die zukünftigen Ziele mit dem bisherigen Vorgehen nicht erreicht werden können, dass die Zufriedenheit der Patienten und Kunden stark von einer integrierten Vorgehensweise abhängt. Mitarbeitende wollen die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines Umbruchs verstehen. Dies ist der erste Schritt, um Commitment zu erwirken.
  • Keine Person kann im Alleingang Veränderungen bewirken:
    Es braucht eine Gruppe, die genügend Durchsetzungsstärke hat, um Veränderungen herbeizuführen respektive eine Gruppe, deren Mitglieder einander vertrauen und die die Expertise und Glaubwürdigkeit in ihren Bereichen hat, um sicherzustellen, dass die Änderungen, die sie implementieren möchte, durchgeführt werden. Ein (Führungs-)Team, das eine Vision kommuniziert und lebt, sorgt für Orientierung und stärkt das Vertrauen der Mitarbeitenden, dass die Veränderung richtig und wichtig ist.
  • Mitarbeitende durch eine 5-Minuten-Vision mitnehmen:
    Es ist wichtig, eine effektive Vision zu haben, denn diese vereinfacht durch die Klärung von allgemeinen Veränderungsmodalitäten die Umsetzung von Entscheidungen. Sie motiviert die Mitarbeitenden, die eingeschlagene Richtung mitzugehen, und hilft, die Aktivitäten der Beteiligten zu koordinieren. Mitarbeitende wollen wissen, wie die Zukunft aussehen kann, und diese mitgestalten. Daher sollte die Vision fokussiert, aber flexibel genug sein und in maximal fünf Minuten erklärt werden können. Mitarbeitende zu befähigen, Veränderungen zu bewirken, setzt voraus, dass sie eine Vision als sinnvoll erachten, Strukturen mit der Vision kompatibel sind und die erforderlichen Trainings zur Weiterbildung ermöglicht werden.
  • Erste Erfolge der Veränderung rasch zeigen:
    Im Zuge von Veränderungen braucht es rasch Erfolge. Wenn Mitarbeitende nachvollziehen können, dass der Erfolg einen Zusammenhang hat mit den Veränderungsanstrengungen, sind sie motivierter, diese Veränderung auch weiter mitzutragen. Erfolgreiche Veränderungen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie mehr Unterstützung und Involvierung bieten. Die Veränderungen werden zudem klar vom Führungsteam getragen.
    Nur so lassen sich neue Ansätze in der Kultur verankern.

(Erstpublikation im Magazin «Curaviva 3/19»)