16.12.2021

«Es gibt immer noch grosse strukturelle Differenzen im Frauenfussball»

Sie garantieren den Praxisbezug und die Qualität des neuen Studiengangs Betriebsökonomie Sportmanagement und stellen ihr Netzwerk im Sportbusiness zur Verfügung – das Advisory Board. Die Direktorin des Frauenfussballs beim Schweizerischen Fussballverband, Tatjana Haenni, berichtet über ihre Funktionen im Sportbusiness, über das FFHS-Studium und über Frauenfussball.

Tatjana Haenni ist ehemalige Schweizer Fussballerin und seit Juli 2020 Direktorin Frauenfussball. Zuvor war Tatjana Haenni als Ressortleiterin Frauenfussball beim SFV, als Beraterin bei Y Sport, als ehrenamtliche Präsidentin des FC Zürich Frauen sowie bei der FIFA und UEFA in leitendenden Positionen für Frauenfussball tätig. Sie ist eine Pionierin des Schweizer Frauenfussballs und setzt sich für dessen Förderung auf nationaler und internationaler Ebene ein.

Frau Haenni, was ist Ihre «Mission», die Sie im Advisory Board verfolgen?
Mein Anliegen ist es, Frauen im Sport und speziell im Frauenfussball zu fördern. Dieses Thema hat mich schon über 20 Jahre beruflich begleitet. Es gibt immer noch grosse strukturelle Differenzen im Frauen- und Männersport und Denkhaltungen, die meiner Meinung nach nicht hilfreich sind. Ich möchte dabei mithelfen, Veränderungen anzustossen.

Was denken Sie, was können Sie mit Ihrem Engagement an der FFHS verändern?
Ein Institut wie die FFHS ist aus meiner Sicht prädestiniert dazu, neue Ansätze zu vermitteln. Hier werden künftige Sportmanagerinnen und -manager ausgebildet, die das Sportbusiness mitprägen. Ich möchte strukturelle, kulturelle und historische Schwierigkeiten des Frauensports und von Frauen im Sport aufzeigen, adäquate Lösungen präsentieren und den möglichen Nutzen in der Wertschöpfungskette den zukünftigen Entscheidungsträgern als Chance mit auf den Weg geben.

«Mein Anliegen ist es, Frauen im Sport und speziell im Frauenfussball zu fördern.»

Was hat Sie motiviert, beim neuen Studiengang Betriebsökonomie Sportmanagement als Dozentin tätig zu sein?
Für mich ist es bereichernd, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die etwas lernen möchten. Es sind junge Menschen, die sich freiwillig dazu entschieden haben, zu studieren und die motiviert sind. Ich finde es wichtig, die Sichtweise und die Erfahrungen der jüngeren Generation zu verstehen und ich kann ihnen meine Erfahrungen und mein Wissen weitergeben. Wenn ich dabei mithelfen und sie für wichtige Themen wie Gleichberechtigung sensibilisieren kann, ist das eine tolle Möglichkeit.

Ein paar Jahre zurückversetzt, als Sie noch aktive Sportlerin waren – hätten Sie auch  diesen Studiengang gewählt?
Ja auf jeden Fall. Ich hatte auch den MBA in Sportmanagement gemacht. Gerade mit dem hybriden Modell und wenig Präsenzunterricht eignet sich das Studium an der FFHS hervorragend für Sportler.

«Ein Institut wie die FFHS ist aus meiner Sicht prädestiniert dazu, neue Ansätze zu vermitteln. Hier werden künftige Sportmanagerinnen und -manager ausgebildet, die das Sportbusiness mitprägen.»

Was raten Sie Sportlern in Bezug auf eine Weiterbildung?
Ich finde, dass alle Sportlerinnen und Sportler sich weiterbilden sollten. In den meisten Sportarten ist es nicht möglich, genügend Geld zu verdienen, sodass man nach der Sportkarriere nicht mehr arbeiten muss. Die duale Karriere ist also für die Sportlerinnen und Sportler sehr wichtig. Ausserdem braucht man auch wieder eine sinnvolle Aufgabe. Als Sportler erlebt man sehr viel, geht durch eine spezielle und aussergewöhnliche Lebensschule. Nach der Karriere als aktive Sportlerin oder Sportler kommt eine weitere Lebensphase und eine neue Berufswahl muss gefunden werden. Es sollte öfters der Fall sein, dass mehr Sportlerinnen und. Sportler beispielsweise als Trainer oder Administratorin der Sportart erhalten bleiben.

Wie ist Ihnen persönlich der Übergang in die Karriere nach dem Sport gelungen?
Da bei mir damals der Fussball noch eine Amateursportart war, musste ich mich nicht damit auseinandersetzen. Es gab noch keine professionellen Frauenfussballclubs. Ich hatte also schon immer gearbeitet, während dem ich aktiv Fussball gespielt hatte. Ich hatte das Glück, dass ich mein Hobby und meine Leidenschaft zum Beruf machen konnte, als ich 1994 bei der UEFA anfangen durfte zu arbeiten.

Ist es rückblickend nicht frustrierend, dass es für Sie noch nicht möglich war, in einer professionellen Liga Fussball zu spielen?
Ich hatte Freude am Fussball und habe es nicht vermisst, professionell Fussball spielen zu können. Heute wird die Chancenungleichheit für Frauen und Männer mehr wahrgenommen. Diese Differenzen sind wirklich gross. Ich denke heute ist es frustrierender als früher.

In welcher Hinsicht?
Es gibt strukturelle und finanzielle Unterschiede in der Vermarktung, Kommerzialisierung, der Anzahl Nationalteams, dem Entscheid, wer wie viel Geld bekommt und vielem mehr. Männerfussball finanziert sich durch die Spitze des Männer-Profifussballs. Aber sogar in unteren Ligen fliesst Geld. Da stelle ich dasganze Ökosystem in Frage, die Kultur. Die Sichtweise der Frauen konnten bisher noch zu wenig eingebracht werden. Das zeigt auch die Tatsache, dass ich die erste Frau in der Direktion des Schweizerischen Fussballverbands bin, und dies erst seit dem Juli 2020, und dass es in allen anderen Entscheidungsgremien noch keine Frauen hat.

Was sind denn die Gründe, weshalb der Frauenfussball noch nicht denselben Status geniesst?
Fussball ist immer noch ein männerdominiertes Business. Die Kultur wird stark von Männern geprägt. Die männliche Sicht ist in den ganzen Abläufen da. Und es geht ihnen eigentlich nur um den Männerfussball. Teilweise handelt es sich um eine sogenannte «Unconscious Bias», also eine unbewusste Voreingenommenheit. Beim Synchronschwimmen ist das Ganze umgekehrt: Hier dominiert die Einstellung der Frauen auf die Sportart.

Es braucht also eine veränderte Einstellung?
Hinter diesen Einstellungen ist  meist keine böse Absicht vorhanden. Um aber die grosse Lücke zwischen dem Männer- und Frauenfussball zu schliessen, ist es in erster Linie nötig, dass die Bereitschaft für Veränderung da ist, der Wille den Gap zu verkleinern. Es ist eine Kulturveränderung und das braucht Zeit.

«Wenn ich dabei mithelfen und sie für wichtige Themen wie Gleichberechtigung sensibilisieren kann, ist das eine tolle Möglichkeit.»

Kann der Studiengang Sportmanagement zu mehr Gleichberechtigung beitragen?
Wir müssen die Denkweisen und die Kultur angehen. Die gesamte gesellschaftliche Entwicklung ist weiter als diejenige im Sport. Viele junge Menschen sind bereits auf Genderfragen sensibilisiert. Sie schauen Frauenfussball ganz anders an. Wir können die Studierenden für Themen wie «Equal Pay» und für die versteckten Differenzen sensibilisieren. Und wir können mit Business Cases aufzeigen, dass das Produkt «Frauenfussball» Zukunftschancen hat und warum es sich beispielsweise für Sponsoren lohnt, darin zu investieren.

Im Studiengang Sportmanagement sind mehrere Profi-Fussballspielerinnen dabei. Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Sie sollen herausfinden, was sie gerne machen, was sie begeistert. Natürlich ist es toll, wenn sie sich für den Frauenfussball einsetzen und mithelfen, die strukturellen Hindernisse zur Seite zu räumen. Aber egal, in welchem Bereich sie sich engagieren, möchte ich sie dazu inspirieren, ihre Ziele mit Hartnäckigkeit zu verfolgen.