Mehr als Schall und Rauch: Markenführung in kleineren und mittleren Unternehmen
Auf den ersten Blick ist das Thema Markenführung, neudeutsch Branding, nur etwas für Big Player, sprich Grosskonzerne. Die Autoren argumentieren dagegen und liefern im folgenden Beitrag die konzeptionelle Grundlage und eine Anleitung für Unternehmensverantwortliche zur Betreibung einer wirksamen Markenführung. Der Beitrag ist der Erste von zwei Teilen.
(Bild: Patrik Michalicka – Unsplash)
Welche Bedeutung hat eine Marke für den wirtschaftlichen Erfolg einer Unternehmung? Jedes Jahr werden eifrig konsultierte Ranglisten herausgegeben, in denen die wertvollsten Marken der Welt erfasst werden. Die Namen, die dort auftauchen, sind jenseits von sprachlichen und kulturellen Grenzen geläufig und deren Symbole, Schriftzüge und Slogans haben sich längst in unsere Gedächtnisse eingebrannt.
Weil die Unternehmungen, die von diesen Marken repräsentiert werden, weltweit tätige Konzerne sind, kann schnell der Eindruck entstehen, dass der Aufbau und die Pflege einer Marke solchen Grosskonzernen vorbehalten seien. Die Meinung liesse sich weiter bestärken, wenn man die Höhe des Werbebudgets von Grossunternehmungen im Schweizer Markt erfährt. Gemäss offiziellen Angaben haben zum Beispiel Coop und Migros 2021 zusammen rund 626 Millionen Franken für ihre Kommunikation ausgegeben (Statista 2022).
Unser Ziel mit diesem und einem Folgeartikel ist es, diesen Eindruck zu entkräften und aufzuzeigen, dass das Thema Marke auch für KMU relevant ist und wie diese den Aufbau, die Pflege und die Stärkung ihres Brands angehen können.
Die ersten Schritte der Markenführung
Die Markenführung umfasst den Aufbau und die Pflege der Marke über die Zeit. Ist eine Marke einmal etabliert, liegt der Fokus somit auf der Pflege und Weiterentwicklung. Dabei wird das Ziel verfolgt, ein relevantes Angebot und Markenversprechen konsistent am Markt einzulösen. In diesem Artikel widmen wir uns dem ersten Teil dieser Zieldefinition, nämlich wie der Aufbau und die Entwicklung eines relevanten Markenversprechens vonstattengehen sollen. Im Folgeartikel werden wir uns mit der Einlösung und Implementierung des Versprechens über das gesamte Kundenerlebnis hinweg befassen.
Lange bevor man sich der Gestaltung des Corporate Designs oder des Logos widmet, müssen die Inhalte der Markenidentität definiert werden, da diese wegweisend für die Ausgestaltung des gesamten Kundenerlebnisses sind. Zu Beginn startet also die Geschäftsleitung eine analytische Reflexion über das «Markenversprechen». Dieses gründet auf dem Angebot der Unternehmung – ihrem Produkt, ihrer Dienstleistung – und beschreibt die Essenz des verschiedenen Nutzens, die der Kunde vom Angebot erwarten kann. Marken sprechen meistens ein Bündel funktionaler und emotionaler Bedürfnisse an, wobei vor allem der emotionale Nutzen die Kunden langfristig an ein Unternehmen bindet. Beispielsweise ist das St. Galler Luxuslabel Akris nicht erfolgreich, weil seine Kleider warm geben, sondern weil die Haute-Couture-Stücke die Individualität und damit die Emotionen der Kunden ansprechen. Analog hierzu positioniert sich der B2B-Dienstleister SAP nicht etwa mit seinem sauberen Quellencode oder der Stabilität seiner Cloud, sondern er fokussiert auf die «Verbesserung von Unternehmen, der Wirtschaft und des Lebens der Menschen».
Abb. 1: Die Grundlagen für die Markenführung
Will sich also ein KMU mit der Markenführung befassen, so beginnt es bei seinem Angebot und analysiert sowohl aus der Innenperspektive als auch aus den Perspektiven von Kunden und Konkurrenten, welches Kundenversprechen es formulieren kann und will. Dieses soll für die bestehende und potenzielle Kundschaft relevant, glaubwürdig und im besten Fall einzigartig und langfristig mit der Unternehmensstrategie vereinbar sein. Die Erkenntnisse aus diesem Reflexionsprozess können zu Anpassungen im Angebot führen, um deren Relevanz und Glaubwürdigkeit zu erhöhen und womöglich Einzigartigkeit anzustreben.Ein Indiz für die Relevanz des Kundenversprechens ist sicherlich die Zahlungsbereitschaft der Kunden. Das Ziel muss jedoch sein, dass diese – weit über die Zahlungsbereitschaft hinaus – nicht mehr auf die Leistung oder ein Angebot der Unternehmung verzichten wollen.
Abb. 2: Perspektiven der Markenentwicklung
Um diese Reflexion festzuhalten und die Marke als strategisches Führungswerkzeug zu benutzen, soll sich die Geschäftsleitung mit der «Markenidentität» befassen und sich dabei mit folgenden Perspektiven auseinandersetzen:
Unternehmensentwicklung: Wie sollen sich die Unternehmung und das gesamte Markenportfolio langfristig entwickeln und welchen Einfluss hat dies auf die Markenpositionierung der spezifischen Marke und dessen Angebot?
Vorgehenshinweise: Zur Erarbeitung dieser Perspektive sollte sich die verantwortliche Person mit den Inhabern oder der Geschäftsleitung auf der höchsten Unternehmensstufe oder der Unternehmensgruppe abstimmen. In grösseren Unternehmen kann allenfalls auch die Unternehmensentwicklung oder die zuständige Person für die Steuerung des Produktportfolios oder der Markenarchitektur konsultiert werden.
Kundenbedürfnisse: Wie können wir langfristig relevant bleiben?
Relevant bleiben bei einer Zielgruppe ist eine grosse Herausforderung. Wie müssen sich die bestehenden Angebote entwickeln, damit sie den sich verändernden Bedürfnissen der Zielgruppe auch in Zukunft entsprechen?
Vorgehenshinweise:Wesentliche Inputs können mit explorativen Kundenworkshops oder einer standardisierten Kundenbefragung gewonnen werden. Einsichtsreiche Hinweise auf die Bedürfnisse am Markt und deren Entwicklung können zudem die Mitarbeiter im Verkauf oder des Kundendienstes liefern.
Unternehmensstärken und -schwächen: Welches Versprechen können wir glaubwürdig einlösen?
Glaubwürdigkeit hat mit der Qualität des Produktes und mit den Erwartungen zu tun, welche die Kundschaft mit der Marke in Verbindung bringt. Je nachdem, wie die Unternehmung aufgestellt ist – über welche Ressourcen und Fähigkeiten sie verfügt, wie konstant die Leistung ist, die sie mit ihrem Angebot erbringt – wird der Kunde der Unternehmung anderes zutrauen.
Vorgehenshinweise: Auch hier können die klassischen Forschungsmethoden wie Kundenbefragungen und Marktanalysen eingesetzt werden. Diese können durch interne SWOT-Analysen mit Vertretern der verschiedenen Bereiche wie etwa der Produktion, des Marketings oder des Verkaufs ergänzt werden. Zu vermeiden sind rein subjektive Einschätzungen, die weder die Sicht der Kunden berücksichtigen noch einen substanziellen Vergleich mit der Konkurrenz umfassen.
Mitbewerber: Worin unterscheiden wir uns von der Konkurrenz? Gibt es etwas, das uns einzigartig macht?
In einer Marktwirtschaft kommt es äusserst selten vor, dass eine Unternehmung die einzige Anbieterin ist. Der Kunde wird demzufolge Vor- und Nachteile unterschiedlicher Produkte abwägen, bevor er eine Kaufentscheidung trifft. Eine Unternehmung charakterisiert sich nicht nur durch das, was sie anbietet, sondern auch durch bewusste Verzichte, welche ihr Profil schärfen und ihr Angebot auszeichnen.
Vorgehenshinweise: Zur Erarbeitung der Grundlagen dieser Perspektive sollte eine Konkurrenzanalyse durchgeführt werden, welche die Angebote und Versprechen der Mitbewerber enthält. Idealerweise lassen sich die Konkurrenten in einer Positionierungsmatrix entsprechend ihren Produkten respektive Dienstleistungen zuordnen.
Abb. 3: Komponenten der Markenidentität und des Markenversprechens
Markenidentität schärfen
Um der bisher beschriebenen Arbeit Konkretisierung zu verleihen, empfiehlt es sich, die Antworten auf die obigen Fragen in einer durchdachten und übersichtlichen Markenidentität zusammenzufassen. Sie dient einerseits der Geschäftsleitung als Kompass für die Geschäftsentwicklung. Andererseits zeigt sie allen internen und externen Stakeholdern der Marke (zum Beispiel Agenturen, Marketing, Sales) den inhaltlichen Rahmen auf.
Die Markenidentität ist ein Kompass, da die Geschäftsleitung durch die Qualifizierung der Marke gleichzeitig die Markenkompetenz – den Handlungsspielraum der Marke – festlegt. So kann die Markenkompetenz im Sinne der Unternehmensstrategie bewusst schmal oder breit definiert werden und sich je nach Unternehmensausrichtung auch entwickeln.
Beispielsweise wurden die beiden Marken Nivea und Zweifel sehr nahe am Nutzen ihrer ursprünglichen Produkte «Handcreme» und «Paprikachips» aufgebaut. Die ursprüngliche Markenkompetenz war also sehr eng. Die Unternehmen hinter den Marken waren jedoch bestrebt, ihre Kompetenz auszuweiten, damit der aufgebaute Markenwert auch für andere Produkte genutzt werden konnte. Nivea soll heute mit ihrer breiten Produktpalette für die gesamte Körperpflege stehen, während die Marke Zweifel mit verschiedenen Innovationen gerne die Snack-Kompetenz für sich beanspruchen will.
Als Kontrast dazu hat sich Apple mit «challenging the status quo» von Beginn an viel stärker an Wertvorstellungen als an Produkten orientiert und konnte damit eine breite Markenkompetenz entwickeln, welche mehrere, sehr unterschiedliche Produkte unter einer Marke zu umfassen vermag.
Es ist wichtig, dass diese strategischen Überlegungen beim Markenaufbau bedacht werden, damit die Unternehmensziele mit der Marke vereinbar sind.
Der unverzichtbare Kern der Markenidentität bildet das Versprechen an die Kunden. Die Marke wird umso erfolgreicher sein, je relevanter dieses Versprechen ist, je glaubwürdiger das Unternehmen das Versprechen einlösen kann und je einzigartiger sich das Unternehmen damit von der Konkurrenz abhebt. Das Markenversprechen fasst dabei die funktionalen und emotionalen Nutzenversprechen in einem Claim zusammen.
Die Elemente des Markenversprechens können am Beispiel von Rivella, einer der bekanntesten Schweizer Marken, illustrativ aufgezeigt werden. Auf ihrer Website sagt Rivella über sich: «Rivella ist das beliebteste Schweizer Erfrischungsgetränk und gehört seit 1952 einfach zu unserem Land. Mit seinem einzigartigen Geschmack steht Rivella für erfrischende Momente und das unverwechselbare Lebensgefühl der aktiven Schweiz.» Zudem findet man auf der Startseite in grossen Lettern den Slogan «Wo immer dein Durst daheim ist».
Die Elemente des Markenversprechens könnten somit wie folgt zusammengefasst werden:
- Versprechen oder Claim: Wo immer dein Durst daheim ist
- Konkrete Nutzen: Einzigartiger Geschmack, Durstlöscher für Aktive, Schweizer Lebensgefühl
Diese Nutzen werden mit verschiedenen Beweispunkten wie etwa «natürliche Ingredienzen» oder «Schweizer Qualität seit 1952» belegt.
Mehr Tiefe gewinnt die Marke, wenn die Geschäftsleitung darüber hinaus den Sinn der Marke ausformuliert, das heisst die Beweggründe, die Antriebskräfte hinter den konkreten Handlungen der Unternehmung. Eine vollausgebaute Markenidentität umfasst dann auch die Unternehmenswerte, welche in den Entscheidungen der Unternehmung und in den Handlungen ihrer Mitarbeitenden Ausdruck finden. Wenn diese Komponenten einmal systematisch erarbeitet worden und in einer schlüssigen Markenidentität zusammengefasst sind, kann man sich an die Implementierung der Marke machen.
Je konziser diese Markenidentität formuliert wird, desto mehr Klarheit schafft sie für die Stakeholder und desto konsistenter kann sie auch umgesetzt werden.
Im zweiten Artikel dieser Serie schildern wir, wie die Markenidentität systematisch im gesamten Kundenerlebnis zum Leben erweckt wird, und beantworten die Frage, weshalb sich die Markenarbeit auch mit kleinem Budget lohnt.
(Erstpublikation: Prestige Business, 2022)