Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Osteopathie
Die Osteopathie ist in der Schweiz auf dem Vormarsch. Gleichzeitig gibt es viele Unklarheiten, was das Berufsbild betrifft. Höchste Zeit, einen näheren Blick auf das medizinische Fachgebiet zu werfen.
Bauen den Studiengang an der FFHS auf: die beiden Co-Studiengangsleiterinnen Christina Thomas D.O. und Mia Macdonald M.Ost (rechts).
Mehr als eine halbe Million Menschen lassen sich in der Schweiz pro Jahr osteopathisch behandeln. Mit dem Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe (GesBG), das 2020 in Kraft getreten ist, ist die Osteopathie als Gesundheitsberuf in der Erstversorgung anerkannt und einheitlich reguliert worden. «Die Professionalisierung in der Schweiz kam mit Vollgas», sagt Mia Macdonald, die gemeinsam mit Christina Thomas den Studiengang Osteopathie an der FFHS aufbaut. Trotz der wachsenden Bedeutung im Gesundheitswesen herrscht vielerorts noch Unwissenheit über das Fachgebiet. Wir haben die wichtigsten Fragen zusammengestellt.
Was ist Osteopathie?
Osteopathie ist eine Komplementärmedizin, d.h. die Behandlungskosten werden von den Krankenkassen über die Zusatzversicherung für Alternativ- und Komplementärmedizin übernommen. Osteopathen behandeln mit den Händen, geben Übungen und führen detaillierte Gespräche mit ihren Patientinnen. Die osteopathischen Interventionen betreffen den ganzen Körper, etwa Funktionsstörungen des Bewegungs- oder Verdauungsapparats, der Atemwege, des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs oder des Urogenitaltraktes. Psychosoziale Aspekte, die sich im Körper oder in den Verhaltensweisen der Patienten widerspiegeln, werden auch gezielt angegangen.
Wo liegen die Grenzen der Osteopathie?
Osteopathie folgt dem Prinzip der Salutogenese, nach dem Gesundheit nicht ein fixer Zustand, sondern als Ziel eines komplexen Prozesses zu verstehen ist. «Osteopathen behandeln keine Krankheiten, sondern fördern die Gesundheit», erklärt Macdonald. Insofern behandelt die Osteopathie beispielsweise keine Krebserkrankungen. Sie kann hingegen einer an Krebs erkrankten Person helfen, die Probleme mit dem Bewegungsapparat hat oder unter den Effekten der psychischen Belastung auf den Körper leidet.
Wie geht ein Osteopath vor?
Osteopathinnen verwenden Anamnese, Diagnostik und verschiedenste Untersuchungs- und Behandlungstechniken, um sogenannte «Funktionsstörungen» zu identifizieren, anzupassen oder diesen vorzubeugen. Das Gespräch ist zentraler Bestandteil der Diagnosestellung. «Ein Osteopath hat Zeit für die Erstkonsultation», so Macdonald. Das sei in der Grundversicherung anders, da fehle diese Zeit in der Anamnese oftmals. Die Osteopathinnen beschränken sich nicht auf das Körperliche, sondern sehen sich die gesamten Lebensumstände an, Psyche, Umfeld, Arbeitssituation usw. Hinzu kommen zum Beispiel auch orthopädische oder neurologische Testverfahren. Ein Osteopath kann durchaus auch andere medizinische Daten wie Bluttests oder MRI anfordern und interpretieren, um eine Anamnese und Diagnostik zu unterstützen.
Wie ist der Stand der Osteopathie in der Schweiz?
Eine Studie aus dem Jahr 2016 stellt einige Zahlen über die osteopathische Arbeit in der Schweiz zur Verfügung. Rund 1,7 Mio. Konsultationen mit Gesamtkosten von 200 Mio. Franken wurden 2016 bei schätzungsweise 550'000 Menschen durchgeführt. Fast die Hälfte der Osteopathinnen praktizierten selbstständig. Die Dauer einer Behandlung lag durchschnittlich bei 45 bis 60 Minuten. Der häufigste Grund für die Konsultationen waren muskuloskeletale Beschwerden (81%), meistens im Bereich der Wirbelsäule (66%). Die meisten Patienten (76%) waren Selbstüberweisende, nur 18% wurden von anderen Gesundheitsfachpersonen überwiesen.
Welche wissenschaftlichen Grundlagen gibt es?
Kritiker der Osteopathie bemängeln, dass die Wirksamkeit der Behandlungen nur bei wenigen Krankheitsbildern belegt ist. In der Tat gibt es keine grösseren Studien vergleichbar mit der klassischen Schulmedizin, was auch mit der relativ späten Professionalisierung der Osteopathie in Europa zusammenhängt. Die Osteopathie integriert jedoch Wissen aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten, seien es Studien aus der klassischen Schulmedizin, der manuellen Medizin, der Psychologie, der Neurologie usw.
Wer darf in der Schweiz Osteopathie ausüben?
Die Schweiz ist nach Grossbritannien das zweite europäische Land, das das Berufsbild staatlich anerkannt und reguliert hat. Durch das Gesundheitsberufegesetz ist die Ausbildung sowie die Berufsausübung seit 2020 schweizweit einheitlich geregelt. Um den Beruf in der Schweiz auszuüben, ist ein Master of Science an einer Fachhochschule Voraussetzung, um die Berufsausübungsbewilligung zu erhalten. Derzeit wird das Studium in der Schweiz an zwei Fachhochschulen angeboten: An der Fachhochschule Westschweiz HES-SO (seit 2014) und ab Frühjahr 2023 neu an der FFHS.