Make, use or buy?
Die globalen Märkte haben sich seit der Einführung des Internets rasant verändert und Unternehmen müssen auch online Präsenz markieren. Wie schaffen sie die idealen digitalen Kontaktpunkte mit ihrem Zielmarkt und auf welche Lösungen sollen sie setzen? Wir ordnen erste relevante Gedanken für die Entscheidungsfindung ein.
In welche Richtung ein Unternehmen mit Ziel Onlinehandel und -präsenz gehen will, ist individuell zu erörtern – spezifische Wege und Lösungen sind zu definieren, Möglichkeiten gibt es viele. (Bild: Mark König)
To be (found) or not to be (found)
Das Kundenverhalten hat sich durch die Alltagsverwendung von digitalen Lösungen stark verändert. Unternehmungen sind gefordert, eine am Markt und am Kundenbedarf optimierte Präsenz im Internet zu etablieren. Im Falle fehlender digitaler Kontaktpunkte wären nämlich ihre Angebote auf die unmittelbare lokale Kundschaft beschränkt. Selbst die Wirkung der Mund-zu-Mund-Propaganda wäre in Frage gestellt, denn potenzielle Interessierte stellen heutzutage den ersten Kontakt mit einer Unternehmung im Netz her, sei es auch nur um zu erfahren, was andere darüber sagen.
Was heisst es aber genau für eine KMU, im Internet aufzutreten? Geht es um eine Webseite mit Informationen über das Angebot oder um einen zusätzlichen Vertriebskanal? Und im zweiten Fall soll sie einen Webshop einrichten oder sich einer bestehenden Plattform anschliessen? Soll sie sogar versuchen ihr eigenes Ökosystem aufzubauen und Mitbewerber auf ihre Plattform zu locken oder sich auf ihre eigenen Vertriebsmöglichkeiten fokussieren?
Die Antwort auf diese Fragen muss im Einklang mit der strategischen Ausrichtung der Unternehmung stehen und auf die Mehrwerte abgestimmt sein, die sie den Kunden bieten möchte. Zu diesem Zweck gilt es vordergründig, einen klaren strategischen Zusammenhang zwischen dem Geschäftsmodell und der möglichen Online-Präsenz zu definieren, und spezifischer, das Kundenverhalten genau zu verstehen, um die Erwartungshaltungen des Zielmarkts bestmöglich zu adressieren.
Optionen für KMU im E-Commerce
Schauen wir uns zunächst an, welche Optionen einer Unternehmung für die Gestaltung ihrer Präsenz im Netz offenstehen. Die Umsetzung kann dann dank der vielen digitalen Angebote am Markt firmenspezifisch gestaltet werden.
Je nach unternehmerischer Zielsetzung kommen eine Webseite, ein Webshop oder eine Plattform infrage. Die Lösungen bieten unterschiedliche Potenziale und können gezielt eingesetzt werden, um das Kaufverhalten zu beeinflussen oder eine tiefere Integration in die Wertschöpfungskette vorzunehmen. Hat man die Art des Auftritts beschlossen, so gilt es im nächsten Schritt zu entscheiden, wie eine mögliche Implementierung aussehen könnte.
Der Zeitpunkt der Lancierung eines Webauftritts soll in Abhängigkeit von aktuellen Marktentwicklungen definiert werden. Dabei kann die Einzigartigkeit der zu vertreibenden Produkte eine wichtige Rolle spielen. Schliesslich müssen die zur Verfügung stehenden Ressourcen genau betrachtet werden.
Kriterien zur Umsetzung in die Praxis
Wir gehen auf einige Beispiele ein, um zu erläutern, unter welchen Umständen, welche der geschilderten Lösungen zum Tragen kommen könnte.
Ein KMU mit lokaler Tätigkeit, die aufgrund ihres Geschäftsmodells nicht vorhat, ausserhalb ihres aktuellen Wirkungsradius tätig zu sein, kann ihre Präsenz im Netz auf eine Webseite beschränken. Das kann der Fall eines Handwerker- oder eines Dienstleistungsbetriebs sein, wie ein Hausarzt, ein Physiotherapiestudio, aber auch derjenige eines Restaurants oder eines Lebensmittelladens. Die Seite soll aktuelle und ansprechende Informationen für potenzielle Kunden bereitstellen.
Die Option «Make» entspricht einer Selbstanfertigung der Webseite durch eigene Kompetenzen sprich: eigene Mitarbeitende. Die Option «Buy» lässt sich wiederum als Wahl zwischen einer Einzelanfertigung durch einen Spezialisten und dem Kauf einer bedingt personalisierbaren Vorlage eines Webauftritts aufteilen. Was sich für eine Unternehmung besser eignet, hängt vom Anspruch sowie von den verfügbaren Kompetenzen und Ressourcen ab. Bei der Entscheidung gilt es zu beachten, dass nicht nur die Erstellung, sondern später auch die Wartung sowie die Einspeisung neuer Inhalte verantwortet werden soll. Inhalte und Angebote müssen stets aktuell sein, um eine laufend positive Kundenerfahrung zu gewährleisten.
Wenn eine Unternehmung Produkte oder Dienstleistungen anbietet, die online gekauft werden können, stellt sich die Frage, ob sie einen Webshop eröffnen will. Anders als bei einer Webseite geht es hier nicht um reine Information, sondern um die Möglichkeit einer Transaktion. So wie im Fall der Webseite bestehen auch hier die Optionen einer eigenständigen Einzelfertigung sowie diejenige eines Auftrags an Spezialisten und schliesslich den Kauf einer standardisierten Lösung (z.B. White-Label-Lösung).
In Zusammenhang mit dem Webshop wird sich die Unternehmung weitere Fragen stellen müssen, wie zum Beispiel welche Zahlungsmethoden die Unternehmung anbieten will. Das stellt keine triviale Angelegenheit dar, denn die Anzahl Anbieter und die angebotenen Varianten nehmen stetig zu. Man denke zum Beispiel an FinTech-Unternehmungen wie Klarna mit der Möglichkeit, sofort zu kaufen und später (in Raten) zu zahlen oder an die Zahlungsangeboten von Internetkonzernen wie Google oder Apple.
Eine weitere wichtige Entscheidung betrifft die Liefermethode. In den letzten Jahren – zusätzlich durch die Corona-Pandemie beeinflusst – hat die Möglichkeit einer sofortigen Lieferung an Bedeutung gewonnen. Während gesetzte Anbieter wie die Post, die landesweite Flächenabdeckung garantieren, haben sich Anbieter wie Uber oder Annanow auf urbane Regionen konzentriert. Sie bieten im engeren Umkreis eine rasche Lieferung – oft innert einer Stunde –, was die Post erst seit der Übernahme des Start-up notime anbieten kann. Abhängig von Anzahl und Häufigkeit der Bestellungen kann eine manuelle, einzelfallbezogene Involvierung solcher Dienstleister beansprucht werden. Sie wird aber schnell viel zu aufwändig und ineffizient. Deswegen wird eine direkte Anbindung des Webshops an die Lieferungsdienstleister unerlässlich. So kann der Kunde Lieferort und -art mit den entsprechenden Kosten steuern.
Die dritte Form von Präsenz im Netz stellen Plattformen dar. Sie zeigen die Macht der Digitalisierung am deutlichsten, da sie als elektronische Marktplätze wirken, die Anbieter und Abnehmer zusammenbringen und oft auch Zusatzdienstleistungen beanspruchen lassen. Das besondere an Plattformen ist die Multilateralität. Webshops können Monobrand sein (H&M, Tesla, Apple) oder Produkte mehrerer Hersteller anbieten (Digitec-Galaxus, Zalando, Amazon). Plattformen geben verschiedenen Anbietern die Gelegenheit, ihr Angebot auf den Markt zu bringen – meistens ohne eigenes Angebot für die Endkunden. Uber, AirBnB oder Booking haben keine eigenen Autos, Wohnungen oder Hotelzimmer zu vermieten. Es sind viele verschiedene Anbieter, die es über diese Plattformen tun.
Besonders wichtig für Schweizer KMU sind Plattformen im B2B-Bereich, die Transaktionen zwischen Unternehmungen abwickeln. Für manche KMU, die z. B. Industriemaschinen herstellen oder Produktionskapazität anbieten, kann es sehr vorteilhaft sein, auf Plattformen vertreten zu sein, auf denen nicht nur die selber akquirierten Kunden, sondern viele andere nach Angeboten suchen. Dadurch erweitert sich die Reichweite dieser KMU erheblich. Sie stehen zwar damit im Wettbewerb mit zahlreichen anderen Anbietern, erreichen aber gleichzeitig viel mehr Kunden, die sie womöglich gar nicht wahrnehmen würden. Bietet man die Produkte über eine fremde Plattform an, ist es besonders wichtig auf die Einzigartigkeit des Produkts zu achten. Die Kunden haben durch die standardisierte Präsentation der Produkte nur schwer die Möglichkeit ihre Einzigartigkeit zu erkennen, was einen hohen Preisdruck erzeugen kann.
Ob eine KMU eine Plattform aufbauen soll oder nicht, ist meistens keine eigentliche Frage, denn die Investitionen und erforderlichen Ressourcen sind zu erheblich. Möglich ist aber, dass eine Unternehmung damit anfängt, ihren eigenen Webshop für andere Anbieter zu öffnen. Dies wenn sie bspw. feststellt, dass sie nicht immer imstande ist, die Anfragen der Kunden zu befriedigen.
Wenn sich die Gelegenheit bietet, kann sich eine KMU – vor allem solche von grösserer Dimension – überlegen, eine bestehende Plattform, die noch nicht ganz etabliert ist, zu übernehmen. So gibt es nämlich immer wieder Start-ups, die eine gute Idee haben und diese anfänglich umsetzen, sie dann jedoch den operativen Betrieb aus verschiedenen Gründen nicht schultern, bzw. skalieren können.
Kriterien bei Make-, Buy- oder Use-Entscheidungen
Es wirkt einleuchtend, dass eine Unternehmung, der die Kompetenzen und Ressourcen für eine «Do-it-yourself»-Lösung fehlen, sich an externe Anbieter wendet.
Eine Unternehmung, die es sich leisten kann, Mitarbeitende für eine solche Aufgabe anzuheuern, sollte sich zunächst überlegen, ob sie über die Ressourcen verfügt, um die Mannschaft über längere Zeit fokussiert zusammenzuhalten. IT-Mitarbeitende sind oft mit Angeboten konfrontiert, die sie zu einem Firmenwechsel verführen. Vor allem bei Unternehmungen mit einer kleineren IT-Abteilung kann der entsprechende Wissensverlust gravierende Auswirkungen haben und im schlimmsten Fall die Umsetzung eines komplexeren Projekts gefährden.
Ein weiterer Punkt betrifft die Datenhoheit. Eine eigenständige Lösung löst das Problem rechtlicher Aspekte auf einfache Art – nicht wie, wenn die gewählte Lösung von ausländischen Anbietern stammt.
Das wohl wichtigste Kriterium ist das am schwierigsten einzuschätzende: das Marktpotenzial. Das lässt sich anhand des Beispiels Schweizer Industrieunternehmungen erläutern, die meistens mit einer internationalen Kundschaft arbeiten und so von einer wirksamen Webpräsenz profitieren. Sie sind aber im B2B-Geschäft tätig, in dem die Anzahl und Häufigkeit der Transaktionen meistens geringer bzw. seltener ist. In die Bewertung, ob sich der Aufbau einer eigenen Lösung lohnt, soll nicht nur der Verkauf des Hauptprodukts, sondern auch von Ersatzteilen und Dienstleistungen einfliessen. Zudem spielen die Möglichkeiten der Anbindung an die weiteren IT-Systeme der Unternehmung – wie CRM (Customer-Relationship-Management), ERP (Enterprise Resource Planning) usw. – eine kritische Rolle. Die Einrichtung eines Webshops kann nämlich nur auf den Bestellprozess Einfluss nehmen, aber die Unternehmung profitiert umso mehr von den Vorteilen der Digitalisierung, je eingehender alle anderen Prozesse digitalisiert und miteinander verbunden sind.
Der Einfluss von künstlicher Intelligenz auf das Kaufverhalten
Jüngst hat sich ein weiterer Faktor bemerkbar gemacht, der den Auftritt und die Funktionsweise von Webseiten, Webshops und Plattformen revolutionieren kann: die künstliche Intelligenz (KI). Seit dem grossen, zumindest medialen Erfolg von ChatGPT ist das Thema omnipräsent geworden. KMU können sich dagegen sträuben, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Wenn man aber bedenkt, welches Potenzial diese neue Technologie verspricht, wäre es ein fataler Fehler, sich nicht damit auseinanderzusetzen. Man kann als zugängliches Beispiel die Recommender Systems anschauen, die heute immer noch ziemlich rudimentär funktionieren, und man kann sich vorstellen, dass eine KI in Zukunft durch das automatische Zusammenziehen und Verarbeiten der Informationen zu einem spezifischen Kunden, passende-re Vorschläge in wesentlich kürzerer Zeit erarbeiten könnte. Das würde die Chancen einer zielführenden Transaktion entsprechend erhöhen. Wie oft werden wir nämlich beim Stöbern in einem Webshop vor einer gefühlt unendlichen Fülle an Wahlmöglichkeiten gestellt und sind damit überfordert. Wie viel besser wäre es, wenn eine KI mit wenig Aufwand, basierend auf unserem Nutzerverhalten und unseren Präferenzen, die perfekte Vorauswahl treffen würde und wir nur noch Details bestimmen müssten!
Solche technologischen Entwicklungen und die Veränderung des Kundenverhalten können eine sehr starke Wirkung im eCommerce erzeugen und sind somit von grösserer Relevanz für die Zukunft der Wirtschaft.
(Erstpublikation: UnternehmerZeitung Nr. 4, September 2023)