«Die Blockchain führt ein einheitliches, dezentral kontrolliertes Kontobuch ein»
Malik El Bay ist Dozent beim CAS Blockchain. Im Interview erklärt er, wie die Digitalisierung den Finanzsektor in den letzten Jahren verändert hat, welche Risiken die Tokenisierung birgt und warum es eine Blockchain-Infrastruktur braucht, die demokratisch verwaltet wird.
«Wie das Internet hat die Blockchain-Technologie den Anspruch, Open Source, zugänglich für alle und im Kern dezentral zu sein», erklärt Malik El Bay.
Malik El Bay, wie hat die Digitalisierung den Finanzsektor und insbesondere die Produktion und Verwaltung von Anlagelösungen in den letzten Jahren verändert?
Als Endnutzende haben wir die Digitalisierung vor allem bei Zahlungslösungen wie TWINT oder digitalen Bankkonten hautnah miterlebt. Auch Plattformen wie Swissquote oder Robinhood sowie digitale Vorsorgelösungen wie Frankly oder Viac sind Beispiele für den Wandel, der uns direkt betrifft. Es gibt auch tiefgreifende Veränderungen im Kern des Finanzsektors, die bisher nur von einer Nische von Blockchain- und Finanzexpertinnen und Experten verfolgt wurde.
Was sind das für Veränderungen?
Die Blockchain führt ein einheitliches, dezentral kontrolliertes Kontobuch ein. Im Gegensatz zu den zahlreichen einzelnen Kontobüchern von Finanzinstituten, die ständig miteinander synchronisiert werden müssen, ermöglicht dieses einheitliche, dezentrale Kontobuch eine transparente und einheitliche Sicht für alle Beteiligten. Die Konsequenz ist ein öffentlich zugängliches und programmierbares Bankensystem, das mehr Experimente und Innovationen ermöglicht. Die Digitalisierung hat also nicht nur das Nutzererlebnis verändert, sondern bietet auch die Chance, grundlegende Strukturen im Finanzsektor neu zu denken – mit allen Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen.
Ist die Blockchain-Technologie nur etwas für Profis? Oder können Sie die verständlich erklären?
Wie viele von uns verstehen detailliert, wie das Internet oder ein Smartphone funktioniert? Trotzdem nutzen wir diese Technologien wie selbstverständlich, weil wir wissen, wofür sie da sind und wie wir sie bedienen. Genauso sollte es bei der Blockchain sein: Sie erweitert das Internet um die Möglichkeit, Werte sicher und direkt zu übertragen – durch ein einheitliches, dezentral verwaltetes Kontobuch. Wie das Internet hat die Blockchain-Technologie den Anspruch, Open Source, zugänglich für alle und im Kern dezentral zu sein. Die Debatten in der Industrie kreisen um die Wahrung dieser Eigenschaften und gleichzeitig darum, eine akzeptable Benutzerfreundlichkeit zu schaffen.
Digitale Vermögenswerte beinhalten mehr als nur Kryptowährungen. Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Bereits heute gibt es zahlreiche Beispiele für tokenisierte Vermögenswerte. Traditionelle Aktien und alternative Finanzprodukte, wie Beteiligungen an Infrastrukturprojekten, etwa Wind- oder Solarparks, werden tokenisiert, um neue Finanzierungsmodelle zu schaffen. Lizenzgebühren aus Musik, Filmen oder Patenten können als digitale Tokens gehandelt werden, was Künstlerinnen und Erfindern Möglichkeiten eröffnet. Auch in der Kunst hat sich die Tokenisierung etabliert. Digitale Kunstwerke, sogenannte NFTs, haben sich unter Sammlerinnen und Sammler einen Namen gemacht. Hochwertige Weine, Oldtimer und Luxusuhren werden ebenfalls tokenisiert, um die Herkunft transparenter zu gestalten und Investoren den Erwerb von Anteilen zu ermöglichen, ohne die physischen Objekte besitzen zu müssen. Die Tokenisierung von Immobilien zielt darauf ab, den Markt für Kleinanleger zu öffnen. Somit erweitert die Tokenisierung den Zugang zu traditionellen Vermögenswerten, macht diese einfacher handelbar und bietet zudem neue Finanzierungsmöglichkeiten.
Was sind die Risiken bei digitalen Vermögenswerten?
Digitale Vermögenswerte, die auf Blockchain-Technologie oder anderen digitalen Plattformen basieren, sind spannend, werden von Risiken wie Scams und Cyberattacken aber nicht verschont. Eine gründliche Recherche, besonders bei Angeboten mit grossen Versprechen, ist unumgänglich. Man sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein und auf den sicheren Umgang mit privaten Schlüsseln, Passwörtern und digitalen Wallets achten. Dabei gilt es sich die nötigen Kompetenzen anzueignen oder auf Angebote von vertrauenswürdigen Firmen zurückzugreifen. Klare rechtliche Rahmenbedingungen, wie wir sie in der Schweiz umgesetzt haben, wie auch regulierte Anbieter stärken das Vertrauen in digitale Vermögenswerte.
Was braucht es sonst noch?
Die dezentrale Verwaltung der Blockchain-Infrastruktur ist essenziell. Ein öffentliches Hauptbuch sollte nicht nur transparent, sondern auch demokratisch kontrolliert sein – im Sinne von «jede Person hat die gleiche Stimme». Dies würde sicherstellen, dass die Technologie der Allgemeinheit dient und nicht von wenigen Akteuren dominiert wird. Genau darauf liegt der Fokus eines grossen Teils meiner Arbeit beim Dezentrum und bei Encointer: Digitale Teilhabe bedeutet eine Blockchain-Infrastruktur zu entwickeln, die demokratisch verwaltet wird und als egalitäre Infrastruktur nicht nur für alle zugänglich ist, sondern auch von allen gleichermassen kontrolliert wird.