Interkulturalität: Umgang mit kultureller Vielfalt
Ein erfreulicher Trend macht sich bemerkbar: Das Wissen um die Bedeutung interkultureller Kompetenz für den Unternehmenserfolg in Büros und Produktionshallen setzt sich immer mehr durch. Aber wer kümmert sich im Alltagsgeschäft um diesen Aufgabenbereich? Was kann die HR-Abteilung dafür tun? Ist es mit einem einmaligen Training von ein paar Mitarbeitenden getan oder gibt es weitere Strategien, um ein permanentes Augenmerk auf interkulturelle Aspekte zu richten?
(Foto: fauxels – pexels)
Regelmässig Staub wischen
Vielleicht geht es Ihnen zu Hause so wie mir: Ich finde, es ist weitaus effizienter, regelmässig ein wenig Staub zu wischen, als einmal in einer Hauruck-Aktion das Liegengebliebene und unter den Teppich Gekehrte äusserst mühsam in Ordnung zu bringen. Im interkulturellen Kontext ist das nicht viel anders: Es bringt wesentlich mehr, wenn man sich kontinuierlich um dieses Thema kümmert, als immer nur dann, wenn so manches bereits im Argen liegt und eine Menge Staub aufgewirbelt wurde.
Fit für viele Kulturen
Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenarbeiten, warten täglich grosse Herausforderungen. Sie treffen auf ungewohnte Denk- und Arbeitsweisen, andere Kommunikationsstile, konträre Vorstellungen von Führungsverhalten und Aufgabenerledigung, «merkwürdige» Auffassungen von persönlichem Umgang und nicht zuletzt auf ein andersartiges Zeitverständnis. Interkulturelle Kompetenz ist also gefragt.
Brücken bauen durch Kultur-Guides
Eine empfehlenswerte Möglichkeit, um in Unternehmen das interkulturelle Zusammenwirken zu fördern, ist der Einsatz ausgewählter Mitarbeitender als Kultur-Guides. Diese Botschafter bauen Brücken zwischen Kulturen und packen an, um eventuelle Mauern abzutragen. Zunächst als Wegbereiter können sie später dauerhaft als Wegbegleiter agieren. Sie kümmern sich vor Ort, falls möglich neben ihrer eigentlichen Tätigkeit, um alltägliche kulturspezifische Fragestellungen und weisen beständig auf interkulturelle Belange hin. Als Scharnier zwischen Beschäftigten und oberstem Management platzieren sie das Thema Interkultur an geeigneter Stelle. Sie handeln im Benehmen mit der HR-Abteilung und sonstigen Fach- und Führungskräften und üben auf diese Weise eine Entlastungsfunktion aus.
Kultur-Guides machen manches möglich
Ein breites Aufgabenspektrum direkt aus der Praxis wartet auf Kultur-Guides: Als unmittelbare Ansprechpartner gehen sie gezielt auf Mitarbeitende zu, fungieren als Sprachrohr nach oben und unten, nehmen beratend an Meetings teil und schalten in schwierigen Fällen einen interkulturellen Trainer oder Coach ein. Sie helfen mit, Spielregeln des Umgangs festzulegen und gemeinsame Ziele zu verdeutlichen. Sie fördern den Teamgeist und gegenseitiges Verständnis und stellen heraus, was gut funktioniert und wo noch Optimierungsbedarf herrscht.
Kultur-Guides regen an, weniger über-, sondern mehr miteinander zu sprechen. Dialog auf Augenhöhe ist gefragt. Indem sie das Ohr an der richtigen Stelle haben, sorgen sie präventiv für eine optimierte Kommunikation und lösungsorientierte Kooperation zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen. Sie sind dafür da, Ungereimtheiten gleich zu bearbeiten, gerade wenn sie noch niederschwellig sind. Damit beugen sie Missverständnissen vor, die häufig zunächst aus vermeintlich völlig harmlosen Kleinigkeiten entstehen, sich im Lauf der Zeit jedoch, wenn eben nicht regelmässig Staub gewischt wird, hochschaukeln und zu einer ausgemachten Lawine auswachsen. Allein ein unterbleibender oder zu intensiver Augenkontakt, falsch interpretierte Gesten und Gebärden, ungewohnter räumlicher Abstand, auffallende Tischsitten oder andere Höflichkeitsformen und Begrüssungsweisen führen bisweilen zu Irritation, wenn nicht gar zu anhaltendem Frust und Ärger.
Eine entlastende Funktion kommt Kultur-Guides insbesondere bei der Vermittlung zwischen den Hierarchieebenen zu. Zum Beispiel können sie Vorwürfe gegen angeblich entscheidungsunfähige und unselbstständige Beschäftigte womöglich entkräften, indem sie darauf hinweisen, dass dieses Verhalten mit einem unterschiedlichen Verständnis von Führung zusammenhängt. Mitarbeitende, die eher autoritäre und patriarchalische Führung bevorzugen, wünschen sich den idealen Chef als wohlwollenden fürsorglichen Autokraten und erwarten klare Anweisungen von ihm; ein eigenmächtiges Agieren würde Respektlosigkeit gegenüber dem Vorgesetzten bedeuten. Allein schon ein derartiger Hinweis auf elementare Unterschiede kann Konfliktsituationen entschärfen und zu besseren Ergebnissen führen.
Kultur-Guides sorgen sich unter anderem um kulturangemessenes Catering bei Meetings und die Beachtung von Speisetabus beim Küchenplan der Kantine. Sie haben den interreligiösen Kalender im Blick und bemühen sich, die verschiedensten Interessen, beispielsweise was Arbeitszeiten bei religiösen Festtagen anlangt, unter einen Hut zu bringen.
Auch falls Ausstattung und Umbauten von Räumlichkeiten anstehen, können Kultur-Guides mit ihren Empfehlungen gefragt sein. Verblüfft hat mich unlängst die Frage während eines Trainings, weshalb denn die Toiletten in der betreffenden Firma ständig unter Wasser stünden. Meine Erklärung, dass es kulturverschiedene Reinigungsrituale gibt, wurde als sehr hilfreich empfunden – verbunden mit dem Entschluss, die sanitären Einrichtungen diesbezüglich zu optimieren.
Die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten ist also beachtlich und reicht weit über Do’s and Don‘ts hinaus. Selbstverständlich geht es immer auch um die Vermeidung von Fettnäpfchen, viel entscheidender sind allerdings die weniger offensichtlichen Faktoren, die meist mit unterschiedlichen Wertvorstellungen der Beteiligten zu tun haben und die es von Fall zu Fall herauszuarbeiten gilt.
Erfolgsvoraussetzungen
HR-Manager sind bei diesem anspruchsvollen Wirkungskreis besonders gefordert, denn entscheidend für den Erfolg von Kultur-Guides ist zweifellos die Auswahl geeigneter und für interkulturelle Herausforderungen aufgeschlossene Beschäftigte. Um Überforderungen zu vermeiden und auch wirklich den gewünschten Mehrwert zu erreichen, sollte die Personalabteilung dafür sorgen, dass ein adäquater Zeitrahmen für das breite Aufgabenfeld zugestanden und eine Mitwirkungsmöglichkeit bei Planungen und Entscheidungen eingeräumt wird.
Eine solide Qualifizierung mit einer speziellen Schulung von Kultur-Guides im Vorfeld des Einsatzes versteht sich von selbst. Sie beinhaltet unter anderem:
- Sensibilisierung für Kulturprägungen, auch die eigenen
- zentrale Kulturunterschiede
- Stereotype und Vorurteile
- Wege zur Konfliktlösung
- effiziente Kooperation und Kommunikation mit Menschen anderer Kulturen
- Tipps und Tricks für erfolgreiches interkulturelles Teamwork
In nicht zu grossen zeitlichen Abständen sollten Kultur-Guides interkulturelle Fortsetzungstrainings erhalten, um anstehende Problemstellungen und Konfliktstrategien zu besprechen. Der damit beauftragte externe interkulturelle Trainer wird bei dieser kontinuierlichen Begleitung darauf achten müssen, dass nicht jedes Problem pauschal «kulturifiziert» wird, sondern weitere Faktoren berücksichtigt werden. Schliesslich weist jede Begegnung immer drei Seiten auf: Zunächst geht es stets um das Individuum, das nicht auf seine Herkunft reduziert werden sollte, dazu kommt die Berücksichtigung der speziellen Situation und dann ist natürlich auch die jeweilige Kultur zu beachten. Kulturelle Aspekte machen ein Drittel aus: nicht mehr, aber auch nicht weniger! Mit solchen Wegbereitern und Wegbegleitern für interkulturelle Zusammenarbeit ist das regelmässige Staub wischen und unter den Teppich schauen ein Erfolg versprechender Weg, das Haus nachhaltig in Ordnung zu halten.
(Erstpublikation in der WEKO Online Ausgabe am 03.12.2021)