Autonomes Fahren: Von Männern bevorzugt?
Das Mobilitätsverhalten ist von einer stetigen Evolution geprägt. In der Vergangenheit waren es Pferde und Kutschen, heute sind Autos das häufigste Fortbewegungsmittel. Die nächste grosse Veränderung zeichnet sich ab, die selbstfahrenden Fahrzeuge.
Innovation und Evolution in der Autoindustrie schreitet stetig voran – längst sind autonome Fahrzeuge nicht mehr blosse Zukunftsvisionen, doch wie sieht es mit deren Akzeptanz in der Bevölkerung aus?
Autonomes Fahren hat grosses Potenzial, den Trend dieser Evolution fortzusetzen und das Mobilitätsverhalten der Menschheit nachhaltig zu verändern. Neben den Herausforderungen der technischen Umsetzung ist die Einstellung der Gesellschaft ein zentrales Kriterium, das den Erfolg und die Akzeptanz dieser Fahrzeuge beeinflusst. Um diese zu messen, wurden über 300 Personen in der Schweiz zu ihrer Einstellung zu autonomem Fahren befragt.
Mobilität als wichtiger Faktor
Die individuelle Mobilität ist ein wichtiger Faktor im Leben jedes Menschen. In der Schweiz legen jede Einwohnerin und jeder Einwohner durchschnittlich 36,8 Kilometer pro Tag zurück und verbringt damit rund 90 Minuten pro Tag auf der Strasse. Fast zwei Drittel dieser Strecke werden mit dem Auto zurückgelegt (Bundesamt für Statistik, 2017, S. 6ff). Daraus lässt sich ableiten, dass das Auto im Mobilitätsverhalten der Schweizer Bevölkerung eine wichtige Rolle spielt.
Was versteht man unter autonomen Fahrzeugen?
Das Auto der Zukunft wird sich jedoch grundlegend von den heutigen Fahrzeugen unterscheiden. Der Touring Club Schweiz (2021) stellt auf der Basis aktueller Forschungsergebnisse verschiedene Szenarien für die Zukunft des Autos vor. Eines dieser Szenarien beschäftigt sich mit autonomen Fahrzeugen. Vollautonome Fahrzeuge benötigen keinen Fahrer mehr, d.h. eine Person steigt ein, gibt das Ziel vor und muss das Auto nicht mehr selbst lenken. Die Frage ist, wie weit diese Zukunft noch entfernt ist. Autonomes Fahren und seine Auswirkungen auf Gesellschaft, Gesetzgebung und Technologie werden in der Öffentlichkeit diskutiert (Thurner et al. 2022; Hudson et al, 2019). Autonome Fahrzeuge der Stufe 5 sind so ausgelegt, dass sie alle sicherheitskritischen Fahrfunktionen übernehmen und den Fahrbahnzustand während der gesamten Fahrt überwachen. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Fahrer zwar Ziel- oder Navigationseingaben vornimmt, aber zu keinem Zeitpunkt während der Fahrt für die Steuerung zur Verfügung steht. Dies gilt sowohl für besetzte als auch für unbesetzte Fahrzeuge (Audi AG, 2019).
Die Rolle der Gesellschaft
Ein wichtiger Punkt ist die Einstellung der Gesellschaft gegenüber selbstfahrenden Fahrzeugen. Soziale Komponenten und die Bedürfnisse der Menschen sollten daher möglichst früh berücksichtigt werden, um autonomes Fahren zum Erfolg zu führen. Neuere Forschungsarbeiten haben die öffentliche Meinung zur Technologie des automatisierten Fahrens untersucht. Die meisten Studien (Thurner et al. 2022; Fuchslocher, 2021; Golbabaei et al. 2020; Bazzi, Laesser, & Bazzi, 2018; Charness et al. 2018; Haboucha, 2017) konzentrierten sich auf Zusammenhänge zwischen wichtigen demografischen Variablen wie dem Geschlecht der Befragten und dem autonomen Fahren und finden signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Geschlechterunterschiede in der Akzeptanz
Auch eine genauere Betrachtung der Umfrageergebnisse der FFHS von über 300 Personen in der Schweiz zu deren Einstellung gegenüber autonomem Fahren zeigt, dass es Unterschiede der allgemeinen Akzeptanz des autonomen Fahrens zwischen den Geschlechtern, der Nutzung des autonomen Fahrens sowie der Einstellung zum autonomen Fahren gibt. Unsere auf logistischen Regressionen basierenden Ergebnisse unterstützen frühere Befunde, dass das Geschlecht eine signifikante Determinante bei der Einstellung zum autonomen Fahren ist. Dabei ist die allgemeine Akzeptanz, die Bereitschaft zur Nutzung autonomer Fahrzeuge und der Einstellung zum autonomen Fahren bei Männern höher als bei Frauen. Wenn man sich jedoch das Interesse an autonomem Fahren anschaut, finden sich keine signifikanten Geschlechterunterschiede. Das Interesse an autonomem Fahren scheint bei Männern und Frauen ähnlich zu sein. Einer der Gründe für dieses unterschiedliche Ergebnis könnte die andere Wahrnehmung der Sicherheit sein. Frauen sind im Durchschnitt vorsichtiger und risikoaverser als Männer, was sich auf Faktoren auswirken kann, die das Kaufverhalten widerspiegeln jedoch das Interesse nicht verändern.
Persönlichkeitsmerkmale und autonomes Fahren
Eine interessante Frage in dem Zusammenhang ist auch, ob bestimmte Persönlichkeitsmerkmale einen Einfluss haben. Frühere Studien haben gezeigt, dass Persönlichkeitsmerkmale, die häufig als «Big-Five»-Faktoren bezeichnet werden (Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen), eine Vielzahl von Verhaltensergebnissen vorhersagen (siehe z.B. Ozer und Benet Martínez 2006). Während sich der Grossteil der bisherigen Literatur auf die Big-Five-Faktoren und Verhaltensergebnisse im Allgemeinen konzentriert, untersucht die Studie der FFHS den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und der Einstellung der Befragten zum autonomen Fahren. Die Umfrageergebnisse legen dar, dass ein Persönlichkeitsmerkmal wie Offenheit für Erfahrungen sich positiv auf die allgemeine Akzeptanz, die Bereitschaft zur Nutzung autonomer Fahrzeuge, der Einstellung zum autonomen Fahren und dem Interesse an autonomem Fahren auswirkt. Andere Persönlichkeitsmerkmale scheinen interessanterweise keine Rolle zu spielen. In der Studie konnten wir auch – anders als erwartet – keine Altersunterschiede feststellen. Eine weitere interessante Fragestellung ist daher auch, wie sich die Einführung autonomer Fahrzeuge auf die Mobilität und die Lebensqualität älterer Menschen auswirken wird.
Schlussfolgerungen und Implikationen
In der Umfrage der FFHS wurde die Einstellung der Schweizer Bevölkerung autonomem Fahren gegenüber erhoben. Damit fügt sie der Forschung zur Akzeptanz des autonomen Fahrens, die sich bisher vor allem auf demografische Variablen konzentriert hat, neue Perspektiven hinzu. Unsere Studie wurde durch die Notwendigkeit motiviert, die Einstellungen der Bevölkerung so früh wie möglich zu verstehen, um den Erfolg des autonomen Fahrens sicherzustellen. Jüngste Studien haben gezeigt, dass die Akzeptanz des autonomen Fahrens bei Männern und Frauen unterschiedlich ist (z.B. Thurner et al. 2022). Unsere Umfrageergebnisse reihen sich in eine wachsende Zahl von Forschungsarbeiten ein, die auch persönliche Merkmale bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Während unsere auf logistischen Regressionen basierenden Ergebnisse frühere Befunde bestätigen, dass das Geschlecht weiterhin eine signifikante Determinante der Einstellung zum autonomen Fahren ist, konnten wir zeigen, dass ein Persönlichkeitsmerkmal wie Offenheit für Erfahrungen eine Schlüsselvariable für die Akzeptanz des autonomen Fahrens ist.
(Erstpublikation: Organisator Nr. 5-6, Juni 2023)