30.07.2024

«Die Forschung ist unserem Ernährungsverhalten in Sachen Insekten weit voraus»

Fleischalternativen auf Insekten- und Pflanzenbasis sind ein Lösungsansatz zu einer nachhaltigeren Ernährung. Laila Hammer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FFHS, Forscherin aus Leidenschaft und Doktorandin. Sie untersucht die Proteinqualität sowie die Bioverfügbarkeit von Eisen in Sojabohnen respektive in Mehlwurmlarven. Einblicke zu ihrem spannenden Forschungsprojekt gewährt sie im Interview.

Laila, wieso untersuchst du gerade Fleischalternativen?
Der Beitrag der Ernährungsgewohnheiten zum Klimawandel ist beträchtlich, und der Übergang zu einer nachhaltigeren Ernährung erfordert zweifelsohne eine Reduzierung des Fleischkonsums. Fleisch ist jedoch eine wichtige Quelle von hochwertigem Eiweiss und natürlichem Eisen. Eine unkontrollierte Ernährungsumstellung könnte anfällige Bevölkerungsgruppen einem erhöhten Risiko für Ernährungsmängel aussetzen.

Inwiefern?
Bekannt ist, dass einige essbare Insekten und Erzeugnisse aus Hülsenfrüchten eine vielversprechende Quelle für Proteine und Mineralien sind. Man weiss aber noch zu wenig über das genaue Nährstoffprofil vieler solcher Alternativen. Ich untersuche mitunter, wie gut bestimmte Fleischalternativen in Bezug auf deren Protein- und Eisengehalt die tierischen Produkte tatsächlich ersetzen können. Genauer schaue ich bei Insekten und sojabasierten Produkten, welche Qualität die jeweilige Proteinquelle aufweist und wie gut das Eisen vom Menschen aufgenommen werden kann.

Es ist allgemein bekannt, dass Insekten und Sojaprodukte gute Protein- und Eisenlieferanten sind. Was macht deine Studie aus?
Man weiss, dass Insekten viel Protein beinhalten. Jedoch ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt, inwiefern deren Proteine und auch Eisen tatsächlich aufgenommen werden können. Es geht also in erster Linie um die Qualität dieser lebensnotwendigen Nährstoffe und wie sie vom menschlichen Organismus absorbiert werden. Ich untersuche als pflanzliche Fleischalternative hauptsächlich Sojabohnen, da wir diese in Zusammenarbeit mit dem Agroscope selbst produzieren können. Dabei geht es auch darum, den Einfluss von verschiedenen Verarbeitungsschritten zu analysieren – wie sieht es mit der Qualität und Verdaulichkeit von Proteinen und Eisen bei den gekochten Bohnen, Sojamilch, Tofu oder anderen bekannten Produkten wie Fleischersatzprodukten aus?

Welche Insekten untersuchst du konkret und wie entscheidest du, welche es sein müssen?
In der Schweiz sind zurzeit nur vier Insektenspezies als Lebensmittel zugelassen – das schränkt die Auswahl massiv ein. Im Fokus stehen Mehlwurmlarven und Grillen. Mehlwurmlarven sind vor allem interessant, weil sie relativ einfach zu züchten sind. Sie fressen praktisch alles, man kann sie schnell in grossen Mengen produzieren. Wir haben zudem eine gute Zusammenarbeit mit einer hervorragenden Insektenfarm in der Schweiz, die Mehlwurmlarven züchtet.

Wie muss man sich die Kooperation mit einer Insektenfarm vorstellen?
Nun, wer meint, dass ich einsam in einem sterilen Labor Insekten seziere, irrt zum Glück. Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Ich gehe persönlich regelmässig bei der Insektenfarm vorbei – habe auch in der Vergangenheit schon mehrfach auf Insektenfarmen mitgearbeitet – und begleite den gesamten Prozess bereits auf dieser Stufe. Ich muss die Experimente planen und organisieren, d.h. auch dem Züchter zeigen, was es für unsere Studie zusätzlich noch braucht. Zum Beispiel geben wir den Insekten extra proteinversetzte oder eisenvermengte Nahrung, wo wir das Protein oder das Eisen mit einem Label versetzten. Wir können dann in der Humanstudie diese Labels im Blut messen, und somit bestimmen, wieviel Eisen oder Protein die Probandinnen nach der Insektenmahlzeit aufnehmen konnten.

Du holst also die spezifischen Larven dann auch selbst ab und wie geht es dann weiter?
Genau, ich hole die Insekten selbst ab. Es ist schwierig, die Mehlwürmer geniessbar aufzubereiten. Dies bedeutete für mich in diesem Fall, dass ich selbst sehr viel ausprobieren musste. Am Ende kam ich auf eine Gemüsesuppe, in die ich getrocknetes Insektenpulver hineinmische. Sie wurde von meinen Probandinnen geschätzt, sie ist ein bisschen nussig im Geschmack. Ich habe fast zwei Monate lang viel zubereitet – Pasta und alles Mögliche stand auf meinem Kochplan. Das Hauptproblem neben der Geniessbarkeit ist aber, dass bei unseren Studien möglichst wenig andere Nährstoffe enthalten sein sollten, zumindest keine, die unsere Ergebnisse beeinflussen. Ginge es rein darum, den Konsum zu optimieren, könnte man natürlich viel feinere Gerichte kredenzen als eine Suppe.

Du schreibst deine Doktorarbeit an der FFHS, wie kam es dazu?
Meine Situation ist ein bisschen komplizierter als üblicherweise bei Doktorierenden. Bei mir sind gleich vier Institutionen involviert. Ich bin an der FFHS im Departement Gesundheit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Forscherin angestellt. An der Wageningen University & Research in Holland, an der ich auch Kurse besuche und wo meine sogenannte Doktormutter arbeitet, werde ich am Ende mein Projekt verteidigen. Da wir an der FFHS keine entsprechenden Labore haben, bin ich zudem an der ETH Zürich in einer Gruppe, um mitunter die Humanstudien durchzuführen. Und einen Teil der Labortätigkeit darf ich bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, umsetzen.

Mein Forschungsprojekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds getragen, das vierte Jahr wird von der FFHS gedeckt, der Support unserer Institution und insbesondere auch von Prof. Dr. Diego Moretti, Forschungsfeldleiter Departement Gesundheit der FFHS, schätze ich sehr.

Was möchtest du zur Forschung rund um Fleischalternativen beitragen?
Neben wissenschaftlich relevanten und nachweisbaren Ergebnissen wünsche ich mir, dass ich ein wenig zur Sensibilisierung beitragen kann, sodass die Leute etwas offener werden, wenn es um das Nahrungsmittel Insekten geht. Es ist mir zugleich auch wichtig, dass Leute, die sich für eine vegane Ernährung entscheiden, sich bewusst sind, wie sie notwendige Nährstoffe wie Proteine und Eisen zu sich nehmen können und deren Gesundheit am Ende nicht darunter leidet. Persönlich bedeutet es mir sehr viel, dass ich ein Thema bearbeiten darf, das ich mit allen möglichen Menschen bereden kann.

Vor einigen Jahren fand man hierzulande in Geschäften Nahrungsmittel aus Insektenerzeugnissen. Warum sind diese rasch wieder aus dem Sortiment verschwunden?
Ein Grund dafür ist sicher, dass diese Produkte relativ teuer waren. Ich verstehe, dass solche Angebote auf dem Markt scheitern, wenn sie sogar teurer sind als die tierischen Produkte. Ein Problem ist, dass für preislich akzeptable Varianten eine sehr viel grössere Produktion nötig wäre. Dies wiederum entspricht aber bei uns so gar nicht der Nachfrage. Der Versuch scheiterte folglich ein bisschen an diesem Teufelskreis. Zudem gibt es aktuell viele und sehr gute Alternativen auf pflanzlicher Basis.

Und offen gesagt, besteht betreffend Insekten bei vielen Menschen ein Ekelgefühl – die Vorstellung des Verzehrs eines ganzen Insekts ist halt etwas unappetitlich, denke ich. Wenn wir ein Nahrungsergänzungsmittel herausbringen könnten, das zwar aus Insekten besteht, jedoch in Pulverform als Protein- und Eisenzusatz konsumiert werden kann, dann sehe ich viel Potenzial.

Ist es nicht seltsam, dass wir Insekten als Nahrungsmittel derart blockiert gegenüberstehen, wenn es doch eigentlich so viele Vorteile hätte?
Ja, wenn man auch bedenkt, dass sich weltweit etwa zwei Milliarden Menschen regelmässig von Insekten ernähren. Besonders in Afrika, Asien und Lateinamerika bilden sie einen integralen Bestandteil der Ernährung. Wir haben in Europa, in der Schweiz besonders, auch den wirtschaftlichen Aspekt, dass sich die Leute Fleisch ganz einfach leisten können. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Forschung noch etwas zu früh dran ist. Ich denke, dass man in Zukunft – wohl gezwungenermassen – eher auf Insekten zugreifen muss.

Was braucht es denn, damit die Gesellschaft sich Insekten auf den Speiseplan setzt und sich nicht dagegen versperrt?
Ich denke, es ist einfach ein Prozess, und dieser braucht seine Zeit. Auch wenn wir aus wissenschaftlicher Perspektive schon seit längerem versichern können, dass es sehr gute Fleischalternativen gibt, ist die breite Gesellschaft noch nicht bereit, sich darauf einzulassen – zumindest, wenn es um Insekten geht. Wenn wir aber die pflanzlichen Alternativen betrachten, sind wir da mittlerweile schon sehr weit. Wir sehen im Supermarkt das immer grösser werdende Angebot. Doch auch da ging ein langer Prozess voraus. Bei Insekten ist es von der Vorstellung her noch schwieriger, dass sie zum Verzehr akzeptiert werden. Zumindest wird es bei Tierfutter eingesetzt – in dem Sinne konsumieren wir indirekt ohnehin schon insektenbasierte Nährstoffe.