25.03.2025

«Unser internationales IFeL-Team ist perfekt für den UNESCO-Lehrstuhl»

Der UNESCO-Lehrstuhl, den die FFHS seit 2026 innehat, agiert als internationale Vernetzungsplattform für die Forschung, Entwicklung und Umsetzung innovativer Lernkonzepte im Bereich des personalisierten und adaptiven Fernunterrichts. Prof. Dr. Per Bergamin gibt im Interview Auskunft über Hintergründe, Ziele und Herausforderungen sowie aktuelle und potenziell zukünftige Projekte im Zusammenhang mit dem UNESCO-Lehrstuhl.

Seit 2016 führt die FFHS den UNESCO-Lehrstuhl. Wie lautete die Grundidee dahinter?
Wir wollten durch internationale Kooperationen entsprechende Lehr- und Forschungskompetenzen an der FFHS aufbauen. Die UNESCO versucht, eine Art Gleichschritt unter den Nationen zu erreichen. Daher kam die Idee, dass man in Afrika voranschreiten könnte, um zu untersuchen, ob man den «Gap» zwischen den technologisch mehr und den weniger entwickelten Ländern verringern zu kann. Es besteht die Gefahr, dass weniger entwickelte Länder immer mehr in Rückstand geraten, während Vorreiter immer schneller werden. Gemeinsame Forschungs- und Lehrprojekte können dazu beitragen, die entsprechende Lücke etwas zu schliessen.

Was sind die Hauptaufgaben und -ziele dieses Lehrstuhls?
Es sind zwei übergeordnete Ziele: Erstens Kompetenzen an der FFHS aufbauen und (weiter-)entwickeln, wie etwa adäquate Lehrmodule und -formen bereitzustellen, damit die Studierenden optimal ihr Studium absolvieren können. Zweitens durch Kooperationen ebendiese Kompetenzen auch unter den Ländern zu teilen, sich gemeinsam und untereinander zu bereichern.

Welche Bedeutung hat der UNESCO-Lehrstuhl im internationalen Bildungsbereich?
Wir erhalten regelmässig positive Rückmeldungen auf internationaler Ebene. Was die FFHS und das IFeL auszeichnet, ist ihr breiter technologischer Ansatz. In unserer Forschung konzentrieren wir uns hauptsächlich auf Lerndaten und deren Analyse, wobei wir regelbasierte Systeme oder KI einsetzen. Als zahlenmässig «kleine» FFHS sind wir in diesem Zusammenhang dennoch einzigartig. Wir haben es geschafft, ein interdisziplinäres Team mit sehr hohen Forschungskompetenzen aufzubauen. Das sieht man beispielsweise an der Zahl der Fachartikel, die in renommierten Journals erscheinen, sowie an den unterschiedlichen Forschungsprojekten, die doch relativ grosse Drittmittel generieren.

Wie tragt ihr in diesem Zusammenhang zur «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» bei, die von den UNO-Mitgliedstaaten weltweit umgesetzt werden soll?
Als kleine Hochschule können wir natürlicherweise keinen grossen Big Bang herbeiführen. Wir arbeiten in kleinen, effizienten und dafür nachhaltigen Schritten. Wir sind bescheiden, aber sehr erfolgreich unterwegs. Unsere Art und Weise wird nicht zuletzt von der UNESCO selbst sehr wertschätzend aufgenommen.

Was heisst das konkret?
Konkret setzen wir Projekte um, die auch beinhalten, dass Forschende aus Ländern wie Südafrika oder Tansania zu uns kommen und für eine bestimmte Zeit bei uns mitarbeiten. Wir bereiten so Projekte gemeinsam vor und entwickeln angepasste Methoden, die wir dann über die geografischen Distanzen hinweg über längere Zeit weiterführen respektive die diese Leute in ihren Ländern und Institutionen umsetzen können. Insofern tragen wir sehr effektiv zur Nachhaltigkeit bei, genauer zum Nachhaltigkeitsziel 4 der UN, das den Bildungszugang für alle Menschen beinhaltet.

Welche Forschungsschwerpunkte verfolgt der Lehrstuhl aktuell?
Der UNESCO-Lehrstuhl hat sich mit der Zeit gewandelt. Zu Beginn arbeiteten wir viel mit regelbasierten Inputsystemen, um personalisiertes Lernen zu fördern – Zielgruppen, Schwierigkeitsgrade von Aufgaben wurden definiert und den Studierenden wurde in der Folge angepasste Lerninhalte zur Verfügung gestellt. Heute läuft alles viel schneller und breiter: Wir nehmen beispielsweise nicht nur Wissensdaten auf, sondern verwenden auch Verhaltensdaten, die wir nutzen, um quasi just in time über Machine-Learning-Algorithmen die Lernenden zu unterstützen. Somit lassen sich viel genauere und spezifischere Lernempfehlungen erreichen.

Wie werden Studierende konkret durch personalisierte Lernkonzepte unterstützt?
Indem sie individuelle Lernwege, -inhalte oder -empfehlungen erhalten. Ab und zu werden auch Aufgaben und Tests etwas angepasst.

Welche Rolle spielen neue Technologien wie Virtual Reality (VR) im Fernstudium?
Insbesondere die Datenquelle und -menge haben sich dadurch geändert. Früher folgten wir wie traditionelle Lehrer einem Modell, spulten es ab. Heute sind wir vielmehr Beobachter und entscheiden im Moment. Die Daten aus VR-Analysen sind um einiges umfangreicher – zum Beispiel können wir ziemlich einfach Aspekte wie Verhaltensweisen, Schrittbewegungen und Augenbewegungen bis hin zu Hautleitwerten messen. Über VR können wir zudem auch als Input vielfältiger Emotionen erzeugen und die emotionalen Reaktionen messen. Die 3D-Umgebung lassen so Bewegung und Lernen kombinieren, was im Hirn (nebenbei auch im Behalten von Informationen) unterschiedliche Regionen befeuern lässt.  Dies führt zu ganz anderen und viel breiteren Anwendungsbereichen beim Lernen.

Mit welchen Ländern arbeiten Sie aktuell zusammen?
Südafrika, Tansania und seit kurzem Brasilien. Wir sind aber aktuell auch daran, in Europa neue Kooperationen aufzugleisen, darunter in Holland oder Deutschland. Eine grosse Herausforderung auf internationaler Ebene ist teilweise durch die unterschiedlichen Kulturen begründet. Da müssen wir sehr anpassungsfähig sein. Da wir ein internationales und interdisziplinäres Team am IFeL sind, haben wir diesbezüglich einen Vorteil und tolle Voraussetzungen, um gegenseitiges Verständnis aufzubringen. Unser IFeL-Team ist perfekt für den UNESCO-Lehrstuhl. Das ist mir persönlich sehr wichtig und möchte es hier dankend erwähnen.

Was macht Ihnen persönlich besonders Freude an der Arbeit im Rahmen dieses UNESCO-Lehrstuhls?
Erstens das Forschungsthema an sich. Ich liebe es, mit Zahlen zu jonglieren. Und zweitens diese Reichhaltigkeit an internationalen Kooperationen sowie der Austausch innerhalb der FFHS, wo wir immer wieder neue Inputs und Ideen einbringen und diskutieren können. Mir machen die Herausforderungen und Horizonterweiterungen in den unterschiedlichen Feldern mit all den interessanten Menschen besonders Spass. Mir ist es jedes Mal sehr wichtig, direkt mit den betroffenen und involvierten Personen zusammenzuarbeiten. Selbstverständlich braucht es Verträge und Vereinbarungen, aber die Arbeit geschieht, trotz KI, immer noch unter Menschen.

Welche zukünftigen Entwicklungen erwarten Sie im Bereich des Fernstudiums?
Ich gehe davon aus, dass das Fernstudium in Zukunft noch wichtiger wird. Die Anforderungen an die Flexibilität beim Lernen werden steigen. Aus unserer Sicht haben wir als Fernfachhochschule einen gewaltigen Schatz an Daten und Erfahrungen – und darin steckt eine riesige Chance, auch künftig personalisierte Angebote und Modelle zu schaffen. Und das Dritte macht mir etwas Sorgen, wenn es um die heutige politische Situation in der Welt geht. Das spüren wir auch bei einigen Partnern bereits, wo die politischen Akteure wieder eine gewichtigere Rolle spielen und einnehmen. Ich sorge mich darum, dass dadurch produktive und konstruktive Zusammenarbeiten erschwert werden. Zum Glück findet man auf der persönlichen Ebene in der gesamten Welt immer wieder Wege, um dennoch zielgerichtet und gut zusammenarbeiten zu können.

Zur Person

Seit 2006 ist Per Bergamin Leiter des Instituts für Fernstudien- und eLearning (IFeL) und 2010 wurde er zum Professor für Fernstudien und E-Didaktik an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS und der SUPSI) ernannt. Seit 2016 ist er zusätzlich Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für personalisierten und adaptiven Fernunterricht und im Mai 2020 wurde er zum ausserordentlichen Professor an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der North-West University (NWU, ZA) ernannt. Seine Forschungsaktivitäten konzentrieren sich auf technologie-basiertes selbstreguliertes, personalisiertes und adaptives Lernen sowie Emotionen beim Lesen und Lernen. Als Forscher arbeitet er mit verschiedenen nationalen und internationalen Projekten zusammen oder leitet diese. Er wirkt in verschiedenen Schweizer Beiräten für die Förderung von E-Learning mit. Als Dozent deckt er die Themen Pädagogische Psychologie und E-Didaktik ab.