Das virtuelle Klassenzimmer
Digitale Lehr- und Lernformen gewinnen seit Jahren an Bedeutung. Dabei beschränkt sich E-Learning längst nicht mehr auf asynchrone Wissensvermittlung. Heutige Internet-Technologien ermöglichen ein Lernszenario, in dem sich Studierende und Dozierende im virtuellen Klassenzimmer live zum gemeinsamen Unterricht treffen.
In den letzten Jahren hat sich die Art, wie wir miteinander kommunizieren grundlegend verändert. Dank der Verbreitung von Smartphones und neuer Technologien wie Skype, Facebook und WhatsApp können wir in Echtzeit Informationen, Wissen und Dokumente teilen, auch wenn sich der Gesprächspartner auf der anderen Seite des Globus befindet. Diese Entwicklung spiegelt sich immer mehr auch im Bildungssektor wieder. Mittels sogenannten «virtuellen Klassenzimmern» können Studierende heute über das Internet am Unterricht teilnehmen, ganz egal wo sie sich gerade aufhalten. Die eingesetzten Technologien erlauben dabei weit mehr als eine reine Übertragung des Unterrichts: Durch den Einsatz von Lernplattformen, Webcams, VoIP oder gar Whiteboards werden sowohl eine Sicht-, Hör- und Sprechverbindung der Beteiligten als auch ein gemeinsames Bearbeiten von Dokumenten ermöglicht. Das spart den Studierenden nicht nur Kosten für die An- und Rückreise, sondern vor allem auch den damit verbundenen Zeitaufwand.
FFHS mit Vorreiterrolle
Um ihre Vorreiterrolle als E-Hochschule zu unterstreichen, hat sich die Fernfachhochschule Schweiz entschieden, im Rahmen eines Pilotprojekts Unterricht im virtuellen Klassenzimmer anzubieten. In dieser Testphase interagieren einzelne Klassen in Bern und in Regensdorf in gemeinsamen Gruppenarbeiten und Unterrichtsgesprächen. Hierzu wird die Dozentin live aus Regensdorf via Videokonferenzschaltung ins Berner Klassenzimmer geschaltet. Umgekehrt sind auch die Berner Studierenden im Regensdorfer Klassenzimmer eingeblendet. Die Studierenden wurden vor der Testphase im laufenden Frühlingssemester genauestens instruiert, wie die entsprechende Applikation auf ihren Laptops zu installieren und zu verwenden ist. So können die Berner Studierenden in der Folge den Unterricht in Regensdorf live an ihren Computern von zu Hause aus mitverfolgen und sich daran beteiligen – mit dem Vorteil des wegfallenden Reiseaufwands.
Erste Rückmeldungen von Studierenden der FFHS zeigen, dass sich insbesondere Teilnehmende mit langen An- und Rückreisewegen auf das virtuelle Klassenzimmer freuen. Sofern sich die Ergebnisse des Pilotprojektes positiv entwickeln, ist laut Dr. Oliver Kamin, Studiengangsleiter Wirtschaftsinformatik an der FFHS, ein Ausbau des Angebotes auf alle vier Standorte der Fernfachhochschule Schweiz denkbar. Zuvor muss sich die Lösung jedoch noch unter realen Lehrbedingungen bewähren. Eine der grossen Herausforderungen ist dabei die Schaffung einer Lernatmosphäre, welche mit jener von Präsenzveranstaltungen vergleichbar ist. Der Lehrperson kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu. Denn sie ist nicht nur für die inhaltliche, sondern auch für die technische Moderation der Lektion verantwortlich. Dozierende benötigen hierbei entsprechendes technologisches und mediendidaktisches Wissen, denn neben dem eigentlichen Vortrag steuern diese parallel die Technik und sollten in der Lage sein, allfällige technische Probleme zu lösen. Um diese neuen Aufgaben erfolgreich abdecken zu können, bietet die Fernfachhochschule Schweiz ihren Dozierenden und interessierten Lehrpersonen die Fortbildung CAS eDidactics an. Ziel dieses Lehrangebotes ist es, die notwendigen Qualifikationen zu erwerben, um den Ansprüchen an die mediengestützte Lehre gerecht werden zu können.
Neue Anforderungen an Dozierende
Neben der Wahl von geeigneten Lehrmaterialien gilt es ausserdem, sich mit den sozialpsychologischen Aspekten, etwa den Einflüssen von anderen Studierenden und Dozierenden zu befassen. Denn wie bei jeder anderen Unterrichtsform auch, ist einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren beim virtuellen Klassenzimmer das Eingehen auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden. Die Lehrperson muss ein Verständnis für ihre Rolle als Online-Betreuer entfalten. Dr. Oliver Kamin hat das didaktische Konzept für das virtuelle Klassenzimmer bei der FFHS entwickelt und betont die Besonderheiten des
Teleteachings. Diese erfordern aufgrund der Gegebenheit, dass sich Studierende und Lehrende an räumlich getrennten Orten befinden, eine angepasste Gesprächsführung im Vergleich zu herkömmlichen Vorlesungen.
Ergänzung statt Ersatz
Fachspezifische Inhalte lassen sich im virtuellen Klassenzimmer sehr gut transportieren. Die Studierenden können Diagramme, Animationen und Videos einfach und schnell per Mausklick auf den Computerbildschirm holen und im virtuellen Klassenzimmer besprechen. Dennoch sind sich viele Fachleute einig: Virtuelle Klassenzimmer werden Präsenzphasen nicht komplett ersetzen können. Denn gerade für die Bildung von Sozialkompetenzen wie die Team- oder Kommunikationsfähigkeit ist es von Bedeutung, dass sich die Teilnehmenden persönlich treffen. Auch methodische Kompetenzen, etwa Kommunikations- und Präsentationstechniken, lassen sich in der virtuellen Welt nicht so einfach erlernen.
Generell erlebt das E-Learning derzeit einen Boom. Hintergrund ist die Tatsache, dass die zeitliche und räumliche Flexibilität bei der beruflichen Weiterbildung eine immer wichtiger werdende Rolle einnimmt. Digitale Technologien, wie sie im virtuellen Klassenzimmer eingesetzt werden, ermöglichen heute synchrone und hoch interaktive Lernsituationen. Dies stellt Bildungsinstitutionen vor eine grosse Herausforderung, denn traditionelle Unterrichtsformen lassen sich nicht 1:1 in die virtuelle Welt übertragen. Wenn aber virtuelle Lernformen didaktisch sinnvoll mit Präsenzformen kombiniert werden, können sowohl Bildungseinrichtungen und Lernende gleichermassen von gesteigerter Effizienz und Qualität der Bildungsangebote profitieren.
PILOTPROJEKT AN DER FFHS
Im Zuge der Positionierung als E-Hochschule unterrichtet die FFHS im laufenden Semester im Rahmen eines Pilotprojektes erstmals auch im sogenannten «virtuellen Klassenzimmer». Ziel ist es, neue Unterrichtsszenarien zu erproben, um die Orts- und Zeitunabhängigkeit weiter zu erhöhen. Hierzu hat das Departement Informatik der FFHS die Standorte Bern und Zürich-Regensdorf Anfang Jahr mit entsprechenden technischen Mitteln ausgestattet. Nach Abschluss der Testphase wird geprüft, ob das Angebot in der Zukunft auch auf die Standorte Basel und Brig erweitert wird. Um den steigenden didaktischen Anforderungen von Lehrpersonen im Bereich E-Learning gerecht werden zu können, bietet die FFHS auch spezifische Weiterbildungsmöglichkeiten an. Im CAS eDidactics werden den Dozierenden die notwendigen Qualifikationen für den online gestützten Unterricht vermittelt.