Die Corona-Impfung als Perspektive
Wann ist die viel zitierte Herdenimmunität erreicht? Wie sieht es mit Mutationen aus? Bietet die Corona-Impfung die langersehnte Hoffnung auf Normalität? Fundierte Antworten auf diese und auf weitere heraufordernde Fragen lieferte Infektiologe Prof. Dr. Jan Fehr im Webinar zur Corona-Impfung.
(Quelle: Sam Moqadam – Unsplash)
«Bei kaum einem Thema wird in kurzer Zeit so viel Wissen geschaffen wie zur Corona-Impfung», leitete Dr. Rolf Heusser von der Universität Zürich und Mitarbeiter des Schweizer Nationalfonds, das erste Webinar der Reihe «Wissenschaf(f)t Perspektiven» ein. Genau darum soll es in dieser Reihe gehen: Wissen zu schaffen und zu vermitteln und damit Perspektiven.
Beginnend bei der Geburtsstunde der ersten Impfung gegen Pocken im Jahr 1802 schlug Prof. Dr. Jan Fehr, Leiter des ersten Impfzentrums in Zürich, in seinem Inputrefererat den Bogen von der Impfstoffentwicklung von damals zu heute. Das Prinzip der Impfung ist dabei dasselbe geblieben: Eine natürliche Infektion in abgeschwächter Form vortäuschen, damit das Immunsystem einen Schutz aufbauen und es so eine Infektion erfolgreich bekämpfen kann. Die wichtigsten Fragen aus Fehrs Ausführungen zusammengefasst:
Wie die Impfung funktioniert
Wie das Immunsystem mit seinen Abwehrmechanismen funktioniert, erklärte der Prof. Dr. Jan Fehr auf leicht verständliche Weise. Die mRNA-Impfung macht sich die zelluläre Abwehr und die Abwehr der Antikörper zunutze: Der Eindringling wird erkannt und mit der Immunabwehr dessen Abbau ausgelöst. Für die Impfung wird nur ein Teil des Coronavirus, das sogenannte Spikeprotein, simuliert. «Dabei wird die Bauanleitung, die messenger-RNA, für dieses Spikeprotein verwendet und in eine Art «Fettkügelchen» verpackt eingeimpft. Die Zellen lesen danach den enthaltenen RNA-Code ab und stellen während zwei Tagen Spikeproteine her», erklärte Fehr. Mit diesem Vorgang wird das Immunsystem getriggert, die Immunantwort auszulösen.
Grafik aus der Präsentation von Prof. Dr. Jan Fehr
Andere Impfstoffe funktionieren mit ganzen Viren oder Bakterien, oder mit modifizierten Adenoviren, wie dies beim Impfstoff von AstraZeneca der Fall ist. Hier machte Fehr eine klare Unterscheidung zwischen Lebend-Impfstoffen, die bei immungeschwächten Personen die Krankheit auslösen könnten und zwischen Tot-Impfstoffen, wie sie für die Corona-Impfungen verwendet werden.
Warum es so schnell ging
Oft werden bezüglich der kurzen Entwicklungszeit Bedenken zur Corona-Impfung genannt. Der Grund für die schnelle Entwicklung ist, dass die Phasen der verschiedenen Untersuchungen parallel stattfinden konnten. Im Falle der Corona-Impfung ist der entscheidende Aspekt, dass neben Firmen auch Staaten und Verbunde schnell investiert haben, damit die Entwicklung vorangetrieben wurde. Ausserdem konnte bei der Entwicklung des Impfstoffs bereits auf Vorwissen zurückgegriffen werden. Das Wissen im Umgang mit mRNA war bereits seit 20 Jahren bekannt, es gibt auch bereits ein zugelassenes Medikament, das auf mRNA-Basis funktioniert.
Was die (Neben-)Wirkungen sind
Prof. Dr. Jan Fehr stellte die drei bekannten Impfstoffe und deren Unterschiede einander gegenüber, unter diesen auch den Vektorimpfstoff von AstraZeneca, der momentan in der Schweiz noch nicht zugelassen ist, aber durchaus eine hohe Wirksamkeit erreicht.
Quelle: NZZ, 12. Januar 2021
«Wirkung heisst auch Nebenwirkung», so Prof. Dr. Fehr. Bei den Wirkungen unterscheidet man aber zwischen den leichten Impf-Reaktionen wie etwa Rötungen bei der Einstichstelle oder Fieber und zwischen Impf-Komplikationen, die darüber hinaus gehende gesundheitliche Schädigungen betreffen. Diese gilt es natürlich auszuschliessen. Das Risiko einer allergischen Reaktion beispielsweise ist mit einem von 100'000 Fällen deutlich geringer als bei der Penizillin-Allergie. Obwohl es verhältnismässig sehr wenige Betroffene eines schweren Allergieverlaufs, eines sogenannten anaphylaktischen Schocks, gibt, gilt es, ein besonderes Augenmerk darauf zu halten. Fehr konnte aus eigener Erfahrung von drei Personen berichten, die nach der Impfung im Referenzzentrum davon betroffen waren, sich aber dank sofortiger ärztlicher Betreuung gut erholt hatten. Aus diesem Grund ist die Überwachung der ersten 15 Minuten nach der Impfung zentral. Auch Menschen mit Bienenstichallergie können geimpft werden, dabei ist es wichtig, vorab eine Allergieanamnese zu erstellen und diese Patienten länger zu überwachen. Im Allgemeinen gibt nur sehr wenige Fälle, bei denen eine Impfung nicht möglich ist.
Die These, dass sich die Impfung negativ auf die Fertilität auswirkt, konnte Fehr widerlegen. Denn bislang konnten Studien keine medizinischen oder epidemiologischen Hinweise liefern, die die These bestätigen.
Wie die Impfung anhält
Nach aktueller Forschung hält die Immunantwort nach der Impfung mindestens ein halbes Jahr an. Aber auch hier gibt es individuelle Unterschiede, besonders Infizierte mit milderem Verlauf entwickeln nicht immer viele Antikörper. Anhand von Daten anderer Länder kann auf Bevölkerungsebene auch schon ein klarer Impf-Effekt nachgewiesen werden. Beispielweise sind in Israel bei den über 60-Jährigen in letzter Zeit deutlich weniger COVID-Fälle und Spitaleintritte nachgewiesen worden. Auch in der Schweiz gibt es bereits erfreuliche Nachrichten: ein starker Rückgang der Todesfälle bei älteren Personen.
Wann wir es geschafft haben
Zur Frage, wann wir die Corona-Pandemie besiegt haben und die Normalität wieder einkehren kann, hat Prof. Dr. Jan Fehr eine kurze Antwort: «Wenn wir immun sind und wenn weniger Virus zirkuliert». Natürlich führte er diese Antwort noch genauer aus. Dabei verglich er das Virus mit einem Wolf im Schafspelz, da das Virus, im Gegensatz zu Ebola beispielsweise, nicht massiv tödlich ist und sich gut «unter dem Radar» verstecken kann; ein wichtiges Element für die Verbreitung eines Virus. Im Gegenzug führte Fehr die viel zitierte Herdenimmunität aus. Dies ist die Situation, in der genügend Personen immun sind, damit die Übertragungskette des Virus unterbrochen wird. Die dafür notwendige kritische Menge ist aber keine fixe Prozentzahl, dabei sind Faktoren wie das Übertragbarkeitsrisiko wesentlich. Bei Mutationen muss die Herdimmunität entsprechend höher sein, man schätzt ca. 80% bei COVID-19.
Wie sich die Situation in der Schweiz entwickelt
Die momentane Situation ist mit relativ hohen Fallzahlen und anhand der vom Bund definierten Schlüsselkritierien (14-Tages-Inzidenz, IPS-Belegung, R-Wert, Hospitalisierungen und Todesfälle) immer noch kritisch. Es besteht die Gefahr einer vierten Welle, die es mit politischen Massnahmen zu verhindern gilt. Prof. Dr. Fehr griff dabei auf das Bild einer Brücke zurück, bei der wir noch mittendrin sind und erst mit einer flächendeckenden Impfstrategie dem Ende näherkommen. Es wird zwar nie der Fall sein, dass alle sich impfen lassen, jedoch können so grössere Infektionsherde gestoppt werden.
Wann das Unternehmen immun wird
Schliesslich griff Fehr die Auswirkungen von COVID-19 auf Unternehmen und die Gesellschaft auf. Wichtige Überlegungen dabei sind der Umgang mit Post-COVID-Patienten sowie mit anderen Krankheiten, die momentan vernachlässigt werden. Zum Schluss forderte Dr. Sonja Kahlmeier den Gastredner auf, drei wichtige Implikationen für Geschäftsleitungen und für das HR zusammenzusassen, die zu einer möglichst baldigen Öffnung beitragen können. Dabei nannte Prof. Dr. Jan Fehr die folgenden:
- Wichtig sei es, als Verantwortungsträgerin oder –träger selber gut informiert zu sein.
- Dann müsse sichergestellt werden, dass die Informationen zu den Mitarbeitenden gelangen. Man solle aktiv kommunizieren und Möglichkeiten schaffen, dass Fragen gestellt werden können, um so auch Vertrauen aufzubauen.
- Die Unternehmen sollen sich mit Teststrategien, mit dem Umgang von positiv-getesteten, geimpften oder nichtgeimpften Personen auseinandersetzen und Beauftragte dafür einsetzen.
Über den Referenten
Prof. Dr. Jan Fehr
Jan Fehr, MD, Prof ist spezialisiert auf Innere Medizin und Infektionskrankheiten mit langjähriger Erfahrung in den Bereichen HIV / AIDS, Hepatitis und Tuberkulose. Derzeit ist er Leiter der Abteilung für öffentliche Gesundheit und des Zürcher Covid-19-Impfzentrums am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI) der Universität Zürich. Er leitet auch die dortige Travel Medicine Clinic, welche jährlich 20'000 Reisende betreut. Darüber hinaus hat er eine Anstellung als Oberarzt am Universitätsspital Zürich in der Abteilung für Infektionskrankheiten und Krankenhausepidemiologie.