28.05.2024

Das Megaprojekt «Cargo Sous Terrain» ist visionär und nachhaltig

«Cargo Sous Terrain» (CST) hat das Potenzial, den Gütertransport in der Schweiz wegweisend zu verändern. Mit einem Netz aus unterirdischen Tunneln, durch die elektrisch betriebene, autonome Fahrzeuge navigieren, soll CST eine nachhaltige Alternative zum herkömmlichen Güterverkehr bieten und gleichzeitig die Strasseninfrastruktur entlasten. Wir haben mit Gabriele Guidicelli, Projektleiter Technik Vehicles & Mechatronics von CST sowie Dozent an der FFHS, über das Mammutprojekt und dessen Nachhaltigkeit gesprochen.

Gabriele, wie lässt sich das Projekt «Cargo Sous Terrain» kurz umschreiben?
CST ist eine neuartige unterirdische Gütertransportinfrastruktur für den kleinteiligen Transport von Waren des täglichen Bedarfs. Nebst der Infrastruktur tritt CST als vollwertiger Logistikanbieter für Transportleistungen auf. Der Tunnel dient als Transport- und Sortieranlage, so dass möglichst wenig Fläche in der Ebene beansprucht wird. So können die zwei Paletten fassenden Kleinfahrzeuge unterwegs gepuffert, sequenziert und gebündelt werden. Weiter ist CST ein digitales Gesamtlogistiksystem, das die Strassen entlastet, die Umweltbelastung reduziert und für pünktliche Lieferungen sorgt. CST schafft damit eine neue Versorgungs- und Entsorgungsinfrastruktur in der Schweiz, um die Lebensqualität für künftige Generationen zu sichern. Das Projekt wird in mehreren Etappen umgesetzt. Der erste Abschnitt, der bis 2031 fertiggestellt werden soll, wird eine 70 Kilometer lange Strecke zwischen Neuendorf und Zürich-Flughafen umfassen.

Wie sieht es mit der Ökobilanz aus und weshalb ist das Projekt nachhaltig?
Mit einer Abnahme des Schwerverkehrs auf den Nationalstrassen um bis zu 40 Prozent und der effizienten Feinverteilung in den Städten ergeben sich CO2-Emissionseinsparungen und eine Reduktion der Lärmbelastung. Das CST-System wird zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben. Im Rahmen eines Life Cycle Assessments (LCA) hat CST eine umfassende Gesamtbilanz der Umweltauswirkungen erarbeitet. Es untersuchte Unterschiede bei der Luftqualität, bei den Lärmemissionen, bei der Raumnutzung sowie bei den Gesundheitskosten. CST weist eine deutlich tiefere Umwelt- und Klimabelastung als der Strassentransport aus, auch in einer Zukunft mit neuen LKW-Antriebsarten.

Ein LCA betrachtet die Umweltwirkungen, Ressourcen- und Energiebilanz eines technischen Systems oder Produkts «von der Wiege bis zur Bahre». Sämtliche Aufwendungen über den gesamten Lebenszyklus – vom Bau über den Betrieb bis hin zum Ersatz und der Entsorgung von Komponenten der ersten Teilstrecke von CST – wurden untersucht, quantifiziert und mit Vergleichsszenarien ohne CST verglichen. Mehr

 

Wie entstand die wahrlich bahnbrechende Idee zu CST?
Der Hauptgrund für dieses Generationenprojekt entstand vor rund 15 Jahren. Die Interessensgemeinschaft Detailhandel Schweiz beobachtete die Entwicklung und Verdichtung des Verkehrs auf dem Schweizer Strassen- und Schienennetz bis ins Jahr 2050. Die Fakten stammten aus Studien des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE). Sie stellten fest, dass ohne vorausschauende Planung und neue Ansätze, der Verkehr eines Tages kollabiert. Aus ihrer Perspektive war es besorgniserregend, dass die pünktliche Lieferung ihrer Produkte an die Verkaufspunkte nicht mehr sichergestellt sein wird. Zumal es zu dieser Zeit schon ab und an Probleme bereitete, die Termine zur Anlieferung der Waren einzuhalten. So war die CST-Idee mit einer unterirdischen Infrastruktur geboren.

Wieso wurde das Projekt nur für den Warentransport konzipiert und nicht auch für den Personenverkehr gedacht?
Dieser Gedanke ist legitim. Da die Idee zu diesem Projekt vom IG Detailhandel Schweiz stammt, ist das Konzept klar auf den Bedarf der Logistik ausgerichtet. Für den Personenverkehr gibt es zudem bereits eine gut ausgebaute Bahninfrastruktur. Hinzu kommt, dass eine unterirdische Reise für Personen beispielsweise von Zürich nach Genf unzumutbar ist.

Du bist Projektleiter Technik – Vehicles & Mechatronics. Was sind deine konkreten Aufgaben?
Wenn wir von Technik sprechen, gibt es zwei Schwerpunkte. Ich erkläre es gerne betriebswirtschaftlich: CST ist eine Unternehmung, die Transportdienstleistungen anbieten wird. Um dies umzusetzen, braucht sie Betriebsmittel – analog wie eine Fabrik, die entsprechende Maschinen benötigt, um ihr Produkt herzustellen. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass CST die richtigen Betriebsmittel für den Transport festlegt, so dass wir diese im Markt beschaffen können.

Wir sprechen von technologisch und bautechnisch höchst komplexen Anforderungen. Kann da nachhaltig gedacht werden?
Unabhängig von der Komplexität muss bei einem Projekt dieser Grössenordnung nachhaltig gedacht werden. Hinzu kommt, je höher der Automatisierungsgrad, umso komplexer wird dessen Steuerung. CST hat den Anspruch, dass alle Güterbewegungen über eine digitale Plattform gelenkt und überwacht werden können. Über diese Plattform weiss man jederzeit, wo die Güter sind, wann sie ankommen und wo die Ausgabe stattfindet. Genau deshalb spricht CST von einer digitalen Logistik.

Das Projekt ist visionär, innovativ und zukunftsorientiert. Auch nachhaltig soll es sein, doch wie legitimiert sich der Eingriff in die Natur?
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Das CST-Projekt beeinflusst die Umwelt, jedoch auf eine nachhaltige Weise. Das bedeutet, dass wir darauf achten, welche Materialien wir einsetzen und wie das Projekt gebaut wird. Grundsätzlich wird in der Industrie immer möglichst nachhaltig gearbeitet. CST verwendet dabei einen höheren Massstab, indem sie, wenn immer möglich, recyclebare Materialien einsetzt. Den Eingriffen in die Umwelt stehen im Ergebnis nachweisbare Umweltvorteile gegenüber.

Wie wird gewährleistet, dass auch die angebundenen Bauten, die beteiligten Interessensgruppen sowie weitere Involvierte in dieselbe Richtung blicken und Nachhaltigkeit verfolgen?
Wir lassen die geplanten Bauwerke auf ihre Umweltverträglichkeit prüfen. Im Weiteren achten wir im Untergrund bei unserem Unterfangen genau darauf, dass die Tunnellinie im stabilen Gestein durchführt und optimieren es sowohl für die geologischen Gegebenheiten als auch für die neue Infrastruktur. Die Nachhaltigkeit wird damit zum einen von CST und zum andern von ihren Partnern und den Interessensgruppen als Grundstein für das Generationenprojekt vorgegeben.

Mit was für Kritik ist CST hauptsächlich konfrontiert?
Die Kritiken sind eher punktuell – oftmals in Zusammenhang mit benötigten Parzellen, bei denen Beteiligte verständlicherweise Bedenken haben und diese auch äussern. In erster Linie geht es den Kritikern nicht darum, das Unterfangen zu torpedieren, sondern vielmehr um die Wahrung ihrer Interessen. Im Dialog und vertieften Gesprächen klären wir die jeweilige Situation und versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden.

Das klingt fast zu harmonisch.
Das Projekt wird von einem Konsortium aus privaten Partnern getragen, darunter führende Unternehmen aus der Logistik-, Bau- und Technologiebranche. Die Schweizer Regierung unterstützt das Vorhaben ebenfalls, da es eine wichtige Initiative zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Verbesserung der Lebensqualität im ganzen Land darstellt.

Noch etwas Persönlicheres: du hast eine ganz besondere Verbindung zur FFHS. Stimmt es, dass du 1998 zu den 27 ersten Studierenden gehört hast?
Nicht ganz. Es stimmt, ich bin seit ihrer Geburtsstunde 1998 mit der FFHS verbunden. Damals hatte ich ein Inserat gesehen und fand die Idee und das Konzept interessant. Gestartet habe ich mit dem zweiten Jahrgang. Seither bin ich bei der FFHS dabei. Denn direkt nach dem Abschluss konnte ich als Dozent anfangen – und bin es noch heute. Im Übrigen wurde ich bei der CST AG zum allerersten Angestellten.

Du bist Dozent an der FFHS in den Bachelorstudiengängen Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik und Betriebsökonomie. Verwendest du das Projekt auch als Beispiel im Unterricht?
Selbstverständlich nehme ich Erfahrungen aus diesem Vorzeigeprojekt und vermittle daraus Knowhow an die Studierenden. Das geschieht aber punktuell und nicht systematisch, das heisst, wir haben CST nicht als konkreten Unterrichtsinhalt eingeplant. Klar, ich werde auch oft darauf angesprochen und unter den Studierenden kommen immer wieder Fragen auf, wie die vielschichtigen Herausforderungen bei CST – vor allem technisch – gelöst werden.

Wie schätzen aus deiner Sicht die Studierenden einen solchen Praxisbezug im Unterricht?
Ich denke, dass gerade die Vereinbarkeit von Studium und Job an der FFHS einen grossen Mehrwert für die Studierenden darstellt. Entsprechend ist natürlich auch die Erwartungshaltung unter ihnen. Sie wollen keine rein theoretisch-akademischen Vorlesungen anhören. Vielmehr sehe ich, dass sie von uns Dozierenden auch Erfahrungen und Knowhow aus der konkreten Praxis fordern. Zudem wollen die meisten unserer Studierenden ihr angeeignetes Wissen aus dem FFHS-Studium ja auch wiederum in ihre alltägliche Arbeit einbringen können.

Hast du auch schon wertvolle Inputs von den Studierenden erhalten, die dir wiederum bei deiner Tätigkeit bei CST weitergeholfen haben?
Wenn wir über das Projekt sprechen, kommen vor allem interessierte Fragen, weniger eigene Lösungsansätze. Das liegt aber nicht etwa an mangelndem Engagement der Studierenden, sondern vielmehr daran, dass das Projekt nicht als Studienobjekt bearbeitet wird. Vereinzelt nehme ich jedoch anregende Gedanken mit, die aber wenig technischer Natur sind. Die Nachhaltigkeit, soziale und wirtschaftliche Aspekte sowie die visionäre Idee hinter dem Ganzen regen die Studierenden natürlich zum Reflektieren an. Und es ist willkommen, wenn sie ihre Überlegungen auch teilen. Im letzten Jahr hatte ich zufälligerweise eine Studentin im BSc Betriebsökonomie, die zugleich bei einer Partnerfirma von CST gearbeitet hat. Sie war besonders interessiert, hatte natürlich aufgrund ihres Arbeitsumfeldes etwas mehr darüber gewusst, war aber selber nicht aktiv im Projekt tätig.

Wie nimmst du die junge Generation wahr? Ist sie tatsächlich sensibler, wenn es um Nachhaltigkeit, Innovation und Zukunftsorientierung geht?
Da diese Themen heute viel populärer als früher sind, werden sie auch häufiger diskutiert. Im Alltag zeigt sich jedoch, dass über alle Generationen hinweg ein grösseres Interesse besteht. Nebst Älteren und Jüngeren, die sich keine Gedanken darüber machen, gibt es aktiv interessierte Personen, die sich mit Nachhaltigkeit – sei es beruflich oder privat – auseinandersetzen.

Gabriele Pasquale Guidicelli ist Projektleiter Technik Vehicles & Mechatronics bei der Cargo Sous Terrain AG.

Sein Schwerpunkt als Dozent an der FFHS ist Logistics & Supply Chain Management mit Fokus auf Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik.