Wenn sich Ideale und die Realität beissen
Viel wird in den europäischen Medien über die Gen Z berichtet, darüber debattiert, wie die jungen Leute zu definieren sind. Sie selbst sehen sich gerne offen und ambitioniert, immer im Sinne der Gerechtigkeit und Selbstverwirklichung zugleich. Doch wie sieht es in einer anderen Kultur aus? Wir haben mit zwei Dozentinnen in Südafrika über die Jugend in ihrem Land gesprochen und ihre ganz persönlichen Beobachtungen geschildert bekommen, die nicht zwingend der Ansicht ihrer Institutionen entsprechen.
Studierende der Gen Z auf dem Campus der North-West University in Südafrika. (Foto: North-West University)
Die Gen Z ist die erste Generation in Südafrika, die in einer Demokratie geboren wurde, nachdem Nelson Mandela 1994 Präsident wurde. Sie hat ein tiefes Verständnis für die Bedeutung von Freiheit und Gleichheit sowie für die Notwendigkeit, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.
Im Kampf gegen Missstände
Das Durchschnittsalter in Südafrika liegt knapp über 27 Jahre, in der Schweiz sind es fast 43 Jahre. Entsprechend Gewicht haben Jugendliche bei politischen Fragen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und Druck auf Organisationen ausüben, damit diese ihren Willen durchsetzen. «Wie ‘laut’ die Stimme der Jugend ist, zeigt sich besonders bei Protestaktionen», sagt Dr. Roxanne Bailey, leitende Dozentin für Informatik an der University of Johannesburg. Die Gen Z sei leider Opfer davon, in einem Land geboren zu sein, das für Korruption bekannt ist: von der Vereinnahmung durch den Staat bis hin zur missbräuchlichen Verwendung von Geldern – mit Konsequenzen auch für Studierende der Gen Z, denen so finanzielle Unterstützung entgeht. Solche Missstände seien oft der Grund für Proteste: «Obwohl die Gen Z dafür bekannt ist, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, muss sie ihre Energie oft in den Kampf gegen die Plagen der Korruption stecken – in Form von Manifestationen und verpassten Bildungstagen, was sich dann negativ auf das Vorwärtsdenken der jungen Leute auswirkt, und sie zurückwirft, anstatt sie voranzubringen», so Bailey. Computerwissenschaftlerin Dr. Sukie van Zyl von der North-West University ergänzt, dass es neben grosser Armut, Kriminalität und einer landesweiten Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent den Jugendlichen häufig an wahren Vorbildern fehle: «Viele elternlose Haushalte, mangelnde Erziehung, Gruppendruck sowie begrenzter Zugang zu Information und Bildung führen die Gen Z oft zu falschen Idolen wie machtgierige Amtsträger oder vermeintliche Aktivisten, die politische Missstände ausnutzen, um die Jugend für wiederum eigene Interessen zu beeinflussen».
Allgegenwärtige Mängel
Fehlende Bildung ist grundsätzlich nicht das Verschulden der Gen Z. Sie will studieren, arbeiten und träumt von einer besseren Zukunft. Sie sind die Bürger von morgen, können aus der Geschichte lernen, haben die nicht zuletzt demografisch begründete Macht, grosse Veränderungen anzustossen. Junge Südafrikaner müssen oft ganz andere Herausforderungen meistern als etwa die westeuropäische Gen Z. Mangelnder Zugang zu Wasser, Strom, Medizin und Infrastruktur bestimmen deren Alltag insbesondere in ländlichen Regionen Südafrikas. Wie ist an Schule zu denken, wenn ein eigenes Dach fehlt respektive der tägliche Kampf ums Überleben das Handeln bestimmt? Es herrscht Hoffnungslosigkeit, dass selbst hochgebildete Menschen keinen Arbeitsplatz finden, ihnen aus rassistischen Motiven Stellen oder faire Löhne vorenthalten werden und sich viele zugleich auch noch um ihre Geschwister kümmern müssen.
Bildung bitte, aber schnell und ohne Aufwand
Als gemeinwohl- und karriereorientiert, selbstbewusst und technologieaffin gilt die Gen Z bei uns. Unbestritten gibt es sie so auch in Südafrika. «Sie ist aber auch diejenige, die ungeduldig ist und es nicht mag, sich abzumühen. Informationen sollten rasch zugänglich sein. Wissen, das keinen direkten Nutzen hat, wird nicht angenommen», sagt Bailey. «Ich würde die Gen Z bisweilen als übermässig selbstbewusst bezeichnen, die nicht kritisch denkt – sie will Lösungen nicht suchen, sondern serviert bekommen, auch im Studium», ergänzt van Zyl.
Auch haftet den «Digital Natives» in Südafrika oft ein fundamentales Manko an technologischem Know-how an: «Sie sind gewandt im Umgang mit Social Media, bei grundlegenden Computerkenntnissen hapert es jedoch gewaltig», beobachtet van Zyl unter ihren Studierenden. Es verwundert nicht, denn jeder besitzt ein Smartphone und soziale Medien bieten eine Flucht aus der Realität. Für viele sind PCs aus sozioökonomischen Gründen jedoch unerreichbar.
Toleranz herrscht nicht überall
Eine grosse Diskrepanz zeigt sich zwischen jungen Menschen in ländlichen Regionen und Grossstädten wie Johannesburg betreffend Toleranz. Gelten Jugendliche in der Metropole als sehr offen gegenüber andersfarbigen Mitstudierenden und Dozierenden, sind sie es auf dem Land eher bedingt. Van Zyl sagt: «So tolerant sind sie nicht. Es gibt eine grosse Vielfalt an Kulturen und jede hat ihre eigenen Vorstellungen von ethnischen Unterschieden, sind in ihren Ansichten oft isoliert und brauchen dringend mehr Möglichkeiten, um voneinander zu lernen».
Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit sind zentral bei Protesten im ganzen Land und die Gen Z ist oft auch federführend bei der Berichterstattung. Sie können und wollen sich manifestieren, im Studium erfolgreich sein und den Weg in eine bessere Zukunft ebnen. Bei uns populäre Gen-Z-Themen wie Klimawandel spielen indes keine grosse Rolle. Vorrang haben Stabilität, Sicherheit und das Gemeinwohl; da bleibt kaum Zeit für Selbstverwirklichung, Freizeit oder Klimawandel.