«Er fragte, was ich hier als Frau überhaupt wollte»
Beatrice Paoli ist Leiterin des Laboratory for Web Science (LWS) und Professorin für angewandte Data Science und Digitalisierung an der FFHS. Sie ist bereits seit über zwölf Jahren an der FFHS tätig und hat das LWS von Beginn an mit aufgebaut. Ein Interview mit persönlichen Einblicken.
Meist sieht man nur Ausschnitte eines Menschen: Im Gespräch mit Beatrice Paoli haben wir viel gelacht und erfahren, wer sie neben ihrer Forscherinnentätigkeit auch noch ist.
Beatrice, wie entstand deine Leidenschaft für die Naturwissenschaften?
Ich habe früh meine Liebe für Zahlen, naturwissenschaftliche Phänomene und die sogenannten MINT-Fächer entdeckt. Massgeblich war dabei sicherlich mein Vater, der Mathematiker war und mir nicht nur bei den schulischen Hausaufgaben stets unterstützend zur Seite stand. Er prägte mein naturwissenschaftliches Interesse schon als Mädchen. Da mir die Mathematik als solche im Laufe der Gymnasialzeit jedoch zu abstrakt wurde, musste ich dann eine andere Studienrichtung finden.
Wie bist du darauf gekommen, Physik zu studieren?
Auf die Frage, was ich denn studieren möchte, folgte ich einer pragmatischen Lösungslogik, denn im Wesentlichen wollte ich später einen guten Job, in dem ich auch möglichst unabhängig arbeiten kann. Und das konnte ich ja am besten mit etwas erreichen, das ich gut kann und das zugleich Hand und Fuss hat. Dabei kam ich auf Physik. So etwas wie Philosophie fand ich auch ganz okay, aber was ich damit später auf dem Arbeitsmarkt machen sollte, war mir nicht klar.
Wie war es als Frau in einer männerdominierten Disziplin zu studieren?
Als gebürtige Römerin schrieb ich mich in der ehrwürdigen Universität La Sapienza ein – eine der ältesten und grössten Universitäten Europas. Als junge Frau wurde ich unter den vorwiegend männlichen Mitstudierenden nicht ernst genommen. Der eine Kommilitone hatte mir ins Gesicht gesagt, dass ich es hier ohnehin nie schaffen würde und fragte mich provokativ, was ich hier als Frau überhaupt wollte. Unter den Physik-Studierenden waren damals nicht viel mehr als 20 Prozent Frauen und lediglich zwei Professorinnen im hauptsächlich männlichen Fachkonsortium. Meinen Master of Science in Physik schloss ich allerdings – selbst als Frau (sie schmunzelt) – mit der Bestnote 110/110 cum laude ab.
Warum bist du nach Zürich gekommen und welche Erfahrungen hast du dort gemacht?
Nach Zürich gelangte ich, weil mein damaliger Freund und heutiger Ehemann an der dortigen ETH in einem Post-Doc-Programm tätig war. Ich sagte mir, wenn er das kann, kann ich das doch sicher auch. Und so kam ich tatsächlich in die Schweiz und promovierte in Naturwissenschaften im Bereich Computerbiochemie. Leider fand ich auch hier keine gelebte Diversität vor, denn von 15 Doktoranden und Post-Docs waren nur zwei weiblich. Eine Situation, die sich bis heute noch sehr ähnlich zeigt. Mir liegt die Thematik rund um Frauen in naturwissenschaftlichen Ausbildungen und Berufen stark am Herzen. Als Frau in einer anspruchsvollen Führungsposition an der FFHS bemühe ich mich um Diversität in meiner Abteilung und mache mich auch ausserhalb meines eigenen Berufslebens für Frauen stark, die aus antiquierten Rollenmustern heraustreten wollen und sich für alle möglichen Naturwissenschaften interessieren.
Wie kamst du zur FFHS und wie beschreibst du kurz zusammengefasst deine Tätigkeit an der FFHS?
Zur FFHS gelangte ich ganz entgegen meinem typischen Wesen – nämlich ganz zufällig. Ich sah eine damals sehr offen formulierte Job-Beschreibung, fand dies an sich sehr spannend und schickte mein Dossier ohne Zögern aber auch ohne grosse Hoffnungen. Mittlerweile habe ich eine eigene Forschungsabteilung aufgebaut und fokussiere mich heute mit meinem Team darauf, durch eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie sowie nationalen und internationalen Forschungspartnern, um Innovations- und Technologietransfer zu ermöglichen. Dabei geht es bei mir weniger um die eigentliche Facharbeit, vermehrt kümmere ich mich um Führungsaufgaben sowie die Akquise von neuen Projekten.
Noch ein paar persönlichere Fragen: Hast du ein besonderes Talent, etwas das niemand kann resp. kaum jemand von dir weiss?
Es ist kein besonderes Talent und es machen sicher viele andere auch. Ich bastle aber sehr gerne. Mein Werken bezeichne ich oft als «Upcyclen». Vor kurzem habe ich ein Bild aus alten Nespresso-Kapseln gestaltet. Zudem gefällt es mir aus gebrauchten oder nicht mehr gewünschten Möbeln etwas Neues zu machen. (Auch verweist sie an dieser Stelle an das Wandregal im Hintergrund, das während des Online-Interviews zu bestaunen war): Dieses Regal habe ich auch selbst gebastelt, und wie es sich zeigt, hält es sogar – und das schon seit einigen Monaten.
Was wolltest du als Kind einmal werden?
Astronautin! Ich habe es geliebt mit meinem Vater die Sterne zu beobachten. Er hatte ein Teleskop, mit dem er mir den Sternenhimmel erklärte und eine absolut faszinierende Welt eröffnete. Auch habe ich seine Astronomie-Bücher mit grosser Begeisterung gelesen. Er hat mich sicherlich neben meinem Mädchentraum, Astronautin zu werden, nachhaltig in meinen Entscheidungen geprägt.
Welche drei Dinge würdest du auf eine Reise zum Mond mitnehmen?
Sicherlich etwas zu lesen, ein Buch also, denn Zeit würde ich auf einer solchen Reise wohl genug haben. Dann ein Schweizer Taschenmesser, so eines, das alles kann und man auch als Wahl-Schweizerin ja angeblich immer dabeihaben sollte. Und Sonnencrème – das scheint mir unter den Reisebedingungen sinnvoll.
Mit welcher historischen Persönlichkeit oder welchem Promi würdest du gerne mal einen Kaffee trinken, und wo?
Sicherlich mit einer Frau, aber da gibt es viele spannende Persönlichkeiten. Ich denke, ich würde gerne einmal Samantha Cristoforetti treffen, egal wo, Kaffee aber passt. Cristoforetti ist eine aus Mailand stammende Astronautin im Korps der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und ehemalige Kampfpilotin der italienischen Luftwaffe. Sie wurde 2022 als erste Europäerin zur Kommandantin der Internationalen Raumstation ISS.
Welche Farbe würde dich am besten charakterisieren?
Rosarot. Punkt. (Sie schmunzelt.)
Wenn du nur noch eine Band bis zum Lebensende hören dürftest, welche wäre das?
Queen. Definitiv Queen.