«Gemüse schneiden kann sehr entspannend sein»
Prof. Dr. Diego Moretti ist Forschungsfeldleiter Ernährung und Diätetik an der FFHS. Im Interview gewährt er persönliche Einblicke, erzählt von vielen spannenden Erfahrungen und Reisen. Mittlerweile ist er sehr damit einverstanden, was einst sein Doktorvater offenbarte: Die wahre Errungenschaft eines Forschers sind die ausgebildeten PhD-Studierenden, die man begleiten und auf deren weiteren Weg vorbereiten durfte.
Meist sieht man nur Ausschnitte eines Menschen: Im Gespräch mit Diego Moretti sind wir weit gereist, haben spannende Geschichten gehört und einem zugehört, der definitiv weiss, wovon er spricht.
Diego, seit wann bist du bei der FFHS und wie kam es dazu?
Ich bin seit September 2018 bei der FFHS, wurde als Forschungsfeldleiter Ernährung angestellt. Der BSc Diätetik und Ernährung war zu diesem Zeitpunkt noch relativ neu. Man musste aber Forschung in diesem Bereich aufbauen – auch aufgrund gesetzlicher Vorgaben. Zuvor war ich Oberassistent an der ETH Zürich, hatte aber einen auslaufenden Vertrag dort, was üblich ist.
Wie entstand deine Faszination für das spezifische Thema Ernährung?
Ich war immer schon an Biologie und Chemie interessiert, wollte aber nicht wie mein Vater Lehrer werden – was ich irgendwie aber am Ende doch wurde (schmunzelt). Ein praxisnahes Studium war aber für mich wichtig. 1996 gab es Ernährungswissenschaften in der Schweiz noch nicht, man konnte aber Lebensmittelingenieur werden. Das Studium war sehr technisch und fokussierte stark auf die industrielle Herstellung von Lebensmitteln. Ernährung als Wissenschaft steckte in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Durch gezielte Wahlmodule sowie Semester- und Diplomarbeiten lenkte ich mein Studium in Richtung Ernährung. Ich konnte auch prägende Erlebnisse machen, so war ich für eine Semesterarbeit einige Wochen in Marokko, wo ich Menschen mit Jodmangel und fortifiziertes Salz untersuchte. Das führte dazu, dass ich mich mit einem Doktorat auf das Thema Eisen spezialisierte, obwohl es mir anfangs etwas zu kontrovers erschien – verglichen mit der Erfolgstory der Jodmangelbekämpfung, die mich anfangs sehr inspiriert hatte.
Du hast beruflich viele Auslanderfahrungen gemacht, auch schon als Student?
Ja, ich habe zwar mein gesamtes Studium bis und mit Doktorat an der ETH absolviert. Während meines Dissertationsprojekts war ich als Auslandstudent je sechs Monate an Universitäten in New Jersey, USA, sowie Bangalore in Südindien. Tatsächlich reiste ich diesen August nach langer Zeit wieder nach Bangalore. Nach meiner Doktorarbeit leistete ich zunächst meinen Zivildienst und habe fast drei Jahre beim multinationalen Grosskonzern Unilever in der Ernährungsforschung gearbeitet. Danach führte mich meine akademische Laufbahn an die Uni Wageningen in Holland, wo ich als PostDoc forschte. Zugleich zog auch meine jetzige Partnerin nach Holland.
Hast du deine akademische Laufbahn mitsamt Privatleben derart zielgerichtet geplant?
Rückblickend sieht es vielleicht so aus, als hätte ich einen klaren Plan gehabt. Aber das war nicht immer der Fall. Vor dem Ingenieurstudium dachte ich sehr seriös über ein Geschichtsstudium nach. Als junger Forscher hat mich die Möglichkeit, internationale Erfahrung zu sammeln, sehr motiviert, um auch einen «Impact» erzielen zu können, wo Ernährungsprobleme existieren. Ich konnte viel reisen und Projekte mit Menschen aus aller Welt durchführen. Ein Beispiel, das mich schon anfangs inspiriert hat, war die Salzjodierung. Es zeigt, dass Forschung mit kleinsten Massnahmen tatsächlich grosse Veränderungen bewirken kann. Mittlerweile ist sie in der ganzen Welt fast lückenlos implementiert.
Wodurch hat es dich nach all den Jahren wieder nach Bangalore verschlagen?
Ich war im Rahmen eines Projekts dort, das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert ist. Wir untersuchen die Proteinverdaulichkeit von Insekten beim Menschen, im Rahmen des Doktorats von Laila Hammer, die auch an der FFHS arbeitet. Es war zugleich eine grossartige Gelegenheit, einige alte Kollegen wiederzusehen, die ich seit über 20 Jahren nicht mehr getroffen hatte. Ein besonderer Moment war das Wiedersehen mit Kiran, einem Fahrer des dortigen Instituts, der mich und andere Forschende bereits 2005 durch Bangalore gefahren hatte. Als ich morgens um 3 Uhr am Flughafen ankam, erwartete er mich dort mit einem herzlichen «Diego, Diego, over here, it’s me».
Diego Moretti pflegt seine Liebe zu indischem Essen auch in Zürich-Oerlikon.
Vermisst du als Exil-Tessiner in Zürich auch nach so vielen Jahren noch deine Heimat?
Ja, ich bin in Bellinzona im Tessin aufgewachsen und habe dort mein Gymnasium abgeschlossen. Meine Mutter ist Zürcherin, mein Vater Tessiner, beide Familienteile leben noch im Tessin. Ich besuche sie regelmässig, auch fehlt mir ab und zu die dortige Natur und Mentalität.
Du wurdest an der FFHS zum Professor ernannt?
Ja, das war aber nicht von Anfang an mein Ziel. Ich war zuvor auch in der Industrie, aber ich realisierte dann, dass die akademische Welt mein Zuhause ist. An der FFHS schätze ich die akademische Freiheit, die ich geniessen darf. Forschen ist auch ein Privileg, und natürlich gibt es Verpflichtungen in Lehre und Administration, aber in der Themenwahl sind wir frei. Auch Studierende zu betreuen, gehört dazu. Das Gleichgewicht an der FFHS stimmt und wirkt sich positiv auf die alltägliche Arbeit aus.
Wie ist die Arbeit mit Studierenden für dich?
Das Arbeiten mit Forschenden, Studierenden und Mitarbeitenden macht mir viel Spass. Vor allem mit Doktorierenden hat man enge Zusammenarbeit, man ist Sparringpartner. Es ist immer beeindruckend, wie sich die Studierenden dabei entwickeln. Mein Doktorvater sagte bei seiner Pensionierung: «Danke für die Publikationen, Auszeichnungen und Forschungserfolge, aber die wahren Produkte meiner Arbeit sehe ich in meinen Studierenden.» Das klingt vielleicht etwas pathetisch, aber ich denke, das hat was.
Im Nachgang eines von ihm organisierten Events mit über 230 jungen Forschenden aus der ganzen Welt sitzt Diego Moretti im Zürcher Zeughauskeller mit einer Gruppe internationaler Forschender zusammen. Wie man sieht, vereint sie nicht nur das Forschungsgebiet, sondern auch die Wahl der Hauptspeise.
Forschung kann manchmal auch frustrierend sein, oder?
Absolut. Man arbeitet oft sehr lange an etwas und am Ende funktioniert es nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Forschung beinhaltet auch monotone Arbeiten, verlangt viel Fleiss und zudem verbringt man viel Zeit in seinem Mikrokosmos. Aber man wird umso mehr dafür belohnt, wenn es dann mal funktioniert. Besonders, wenn die Ergebnisse in der Realität Anwendung finden. Aber man muss viel Durchhaltevermögen haben, und darf nicht zu früh aufgeben.
Hast du ein besonderes Talent, das kaum jemand von dir weiss?
Nichts Spektakuläres, aber ich koche sehr gerne und bin zuhause dafür zuständig. Es ist für mich eine perfekte Tätigkeit, bei der ich von der Arbeit abschalten und abtauchen kann – Gemüseschneiden kann sehr entspannend sein. Ausserdem bin ich gerne in der Natur, besonders in den Bergen, unterwegs. Mein Vater ist Bergsteiger, und diese Leidenschaft teile ich mit ihm.
Kochst du auch Gerichte mit Insekten?
(Schmunzelt) Ja, ab und zu, es ist sicher kein Tabu bei uns. Wir essen regelmässig ein Produkt aus dem Supermarkt – getrocknete Insekten – als Apéro. Auch meine Tochter mag sie. Es ist eine tolle Alternative zu den Chips.
Und wo findest du in Zürich die Berge?
(Lacht) Das ist tatsächlich ein Nachteil von Zürich, das ich sonst sehr mag. Aber ich komme oft schnell ins Grüne, auch mit dem Velo. Und wenn ich richtige Berge brauche, fahre ich halt ins Tessin, wo man praktisch direkt von der Haustür in die Berge aufsteigen kann.
Was wolltest du als Kind einmal werden?
Ich wollte Schauspieler werden. Im Gymnasium hat sich dann aber die Biologie durchgesetzt. Trotzdem ist die schriftliche und mündliche Kommunikation in der Wissenschaft sehr wichtig, sowie auch das Sprechen vor einem Publikum. So kann ich den Kindheitstraum ein Stück weit ausleben.
Welche drei Dinge würdest du auf eine Reise zum Mond mitnehmen?
Etwas zum Musikhören. Einen Gaskocher, um mir meine eigene Pasta-Sauce zuzubereiten. Und natürlich ein paar gute Freunde.
Mit welcher historischen Persönlichkeit oder welchem Promi würdest du gerne mal einen Kaffee trinken?
Vielleicht würde ich gerne eine Zeitmaschine haben, um Stefano Franscini kennenzulernen. Der Tessiner gehörte zu den ersten Bundesräten überhaupt (der Fünfte), hat die erste Volkszählung in der Schweiz organisiert, war einer der Mitgründer der ETH und setzte die Grundpfeiler für die Gründung des Bundesamts für Statistik. In der Primarschule hing sein Bild in unsere Klasse. Zuvor, als Regierungsrat im Tessin, hat er das Schulsystem aufgebaut und somit den grassierenden Analphabetismus bekämpft.
Welche Farbe würde dich am besten charakterisieren?
Ich würde unparteiisches Grün sagen. Ich verbinde diese Farbe stark mit der Natur, die ich sehr liebe.
Wenn du nur noch eine Band oder Musikerin bis zum Lebensende hören dürftest, wen würdest du wählen?
Da müsste ich zwei nennen: Francesco De Gregori, ein Cantautore aus Italien, und Neil Young. Ich mag ruhige Töne und Singer-Songwriter sehr.