Gesichter der Forschung 22.10.2024

«Studentenwohnungen sind nie so aufgeräumt wie kurz vor Prüfungen»

Dr. Christof Imhof ist Forscher am Institut für Fernstudien- und eLearningforschung (IFeL) der FFHS. Sein Fokus gilt der Prokrastination im Kontext von adaptivem Lernen. Wieso Studierende unangenehme Aufgaben aufschieben, für welches Herzensprojekt er sich engagiert und wieso Klemmbausteine fast zwei Zimmer in seiner Wohnung besetzen, erzählt er im Interview.

Christof, wie sieht deine Haupttätigkeit an der FFHS aus?
Ich bin als Forscher am IFeL der FFHS tätig und darf hier bei verschiedenen Projekten mitarbeiten. Besonders am Herzen liegt mir das Thema Prokrastination, worin ich auch doktoriert habe. Der sperrige Begriff ist umgangssprachlich auch als «Aufschieberitis» bekannt.

Was untersuchst du genau?
In unserem Kontext geht es um Fragen, wieso Studierende das Lernen und Arbeiten aufschieben. Wieso lässt man es oft bis «auf den letzten Drücker» ankommen, obwohl Abgabe- und Prüfungstermine längst bekannt sind? Welche Gründe stecken dahinter? Und natürlich wollen wir herausfinden, was man dagegen unternehmen kann.

Was kann man gegen die «Aufschieberitis» tun?
Eines vorweg: Ein Allheilmittel habe ich nicht, das die Studierenden vor Prokrastination schützen könnte. Dafür fehlen einfach genügend handfeste Forschungserkenntnisse und manche Lösungsansätze sind therapeutischer Art, was natürlich jenseits unserer Möglichkeiten liegt. Ich habe aber einen grossen Datensatz zur Verfügung, der rund 1'800 Kurse beinhaltet. Ziel ist, etwaige Muster zu erkennen, die wir aufgrund definierter Faktoren analysieren.

Was sind das für Faktoren?
Einerseits schauen wir das Kursdesign per se an. Gibt es etwa Aspekte in der Kursgestaltung, die Prokrastination begünstigen? Andererseits analysieren wir Log-Daten, die Hinweise liefern könnten, ob und wann jemand allenfalls Gefahr läuft, eine bestimmte Aufgabe nicht oder eben erst spät anzupacken. Es ist grundsätzlich sehr schwierig zu untersuchen, da Prokrastination eine motivationale Angelegenheit ist, wir sprechen zudem von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, die zusätzlich für ein aufschiebendes Verhalten verantwortlich sein können.

Woran erkennt man, dass jemand Tendenzen zum Aufschieben hat?
Etwas plakativ kann man klar sagen, dass Studentenwohnungen niemals so sauber und aufgeräumt sind wie kurz vor Prüfungen (lacht). Manchmal tut man etwas Unangenehmes, nur um etwas noch Unangenehmeres zu vermeiden und trotzdem das Gefühl zu verspüren, etwas erreicht zu haben. Empirisch wissen wir, dass ein grosser Teil von Studierenden für Prokrastination anfällig ist.

Nachvollziehbar, dass in der obligatorischen Schulzeit Aufgaben gerne aufgeschoben werden. Wenn man sich freiwillig aber für ein Studium an der FFHS entscheidet, sollte die Motivation doch Voraussetzung sein?
In der Tat ist intrinsische Motivation gegeben und diese Studierenden weisen sehr viel Disziplin auf. Das Phänomen des Aufschiebens besteht aber eben auch hier. Gründe liegen vermutlich in der Tatsache, dass unsere Studierenden mehrere Lebensbereiche nebeneinander managen müssen und das bietet natürlich immer auch Ablenkungspotenzial. Aber Obacht, wir sprechen per Definition nicht von Prokrastination, wenn man etwas aus triftigem Grund nicht erledigen kann. Wenn man sich beispielsweise spontan ums Kind kümmern muss, weil die Partnerin oder der Partner kurzfristig zur Arbeit muss, dann hat dies natürlich mit Prokrastination nichts zu tun.

Wie sehen deine beruflichen und akademischen Ambitionen aus?
Ich arbeite inzwischen auch als Dozent hier an der FFHS, unterrichte als Fachbereichsleiter in Human Computer Interaction und assistiere in Digital Education, was mir sehr gefällt. Die Forschungstätigkeit begeistert mich und ich würde mich sicher auch nicht dagegen wehren, wenn sich mir eines Tages eine Professur anbieten würde. Zumindest im Moment würde ich auch nicht unbedingt in die Selbstständigkeit oder Privatwirtschaft wechseln wollen. Ich bin Forscher mit Herz und Seele.

Apropos Herz: Du bist bei «Organja – Verein für Organspende» aktiv dabei, wie kommt es zu dieser Freiwilligenarbeit?
Es ist ein wohltätiger Verein aus dem Wallis, bei dem ich Vorstandsmitglied bin und als Aktuar mithelfe. Der Hintergrund ist sehr persönlich. Wir haben den Verein 2013 gegründet, als Initiatoren waren ein ehemaliger Mitschüler sowie weitere Freunde aus der Gymnasialzeit dabei. Der Bruder unseres Präsidenten litt unter zystischer Fibrose und war ebenfalls Gründungsmitglied. Er ist aber leider bereits ein Jahr nach der Vereinsgründung und mit nur 21 Jahren viel zu jung verstorben. Er hatte zwei Lungentransplantationen hinter sich und wartete sogar auf ein drittes Spenderorgan. Die Motivation von uns allen war also sehr persönlich und emotional. Unser Hauptziel ist es, die Leute für das Thema zu sensibilisieren. Wir wollen keineswegs missionieren oder Menschen für einen Organspendeausweis überreden.

Hast du ein besonderes Talent, etwas, das kaum jemand von dir weiss?
Ich habe kein aussergewöhnliches Talent, jedoch ein besonderes Hobby. Ich bin leidenschaftlicher Sammler von LEGO-Sets. Primär bin ich an den lizenzierten Themen interessiert, die meist auf Filmen, TV-Serien oder Videospielen basieren – also alles rund um Star Wars, Herr der Ringe, Marvel usw. Ich diskutiere online mit anderen Fans über aktuelle Gerüchte und Insiderinformationen, bestelle neue Sets direkt an Tag 1, baue alles akribisch zusammen und füge sie meiner stetig wachsenden Sammlung hinzu. Die Figuren und Bauten beanspruchen mittlerweile zwei Zimmer bei mir zu Hause.

Welches ist dein Lieblingsset?
Ich habe den «75192 Millennium Falcon» als ein Glanzstück in meiner Sammlung (Anm.: Neupreis ca. CHF 900.-, bestehend aus 7'541 Einzelteilen). Ich besitze auch ältere Sets, für die man relativ viel Geld erhalten würde, jedoch ist für mich der Sammlerwert einfach unbezahlbar.

Was wolltest du als Kind einmal werden?
Etwas in Richtung Biologie wollte ich machen, insbesondere Zoologie. Die Vorstellung blieb lange und hartnäckig in mir. Als ich jedoch realisierte, dass man um Anatomie inklusive Sezieren nicht herumkommt, ist mir die Lust daran rasch vergangen. Im Psychologiestudium lernten wir auch das Gehirn und dessen Komponenten kennen, doch zum Glück bloss anhand von Modellen.

Welche drei Dinge würdest du auf eine Reise zum Mond mitnehmen?
Sicherlich Unterhaltungselektronik – etwa meine Nintendo Switch –, um gegen allfällige Langeweile gewappnet zu sein. Ich habe noch ein paar ungeöffnete Spiele daheim, die ich mal beginnen müsste. Dazu meine vier Katzen. Das wäre wohl ziemlich chaotisch, aber auch das beschert Unterhaltung. Ausserdem noch einen Fotoapparat, um ein paar einzigartige Bilder zu schiessen.

Mit welcher historischen Persönlichkeit oder welchem Promi würdest du gerne mal einen Kaffee trinken und wo?
Ich fände es sehr spannend, einmal mit dem japanischen Manga-Autor Gosho Aoyama zu reden. Er zeichnet und schreibt eine bekannte Krimireihe und mich würde seine schier unendlich wirkende Inspirationsquelle interessieren. Woher er all diese Ideen für Fälle hat und wie er derart produktiv stets spannende und kreative Geschichten erfindet, ist beeindruckend. Die genannte Reihe umfasst mittlerweile über 100 Bände, die ich alle bei mir zu Hause habe.

Welche Farbe würde dich am besten charakterisieren?
Purpurrot. Einerseits ist es meine Lieblingsfarbe. Andererseits habe ich aber auch sehr viel Temperament, und das passt ja dann wohl. Zur Erklärung: Mein Geduldsfaden ist sehr kurz, wenn bei technischen Geräten etwas nicht funktioniert. Da tendiert meine Geduld gegen null.

Wenn du nur noch eine Band oder eine Musikerin bzw. einen Musiker bis zum Lebensende hören dürftest, wen wählst du?
Ich würde Gorillaz wählen, die virtuelle britische Band. Sie haben eine extreme Bandbreite, und zugleich haben ihre Songs jeweils einen ganz klaren Wiedererkennungswert. Kein Song ist wie der andere, aber man hört Gorillaz immer heraus.

Gesichter der Forschung

An der FFHS wird nicht nur fleissig studiert und unterrichtet. Es gibt auch vier Forschungsabteilungen, in denen viele spannende Projekte umgesetzt werden. Wer aber steht hinter der FFHS-Forschung? Wir präsentieren in einer Reihe einige der verantwortlichen Personen und zeigen, wer sie neben ihrer Forschertätigkeit sonst noch sind.

Dieses Mal war Dr. Christof Imhof an der Reihe.

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