Gesichter der Forschung 24.05.2024

«Als Direktor des Salzburger Zoos hatten sie mich dann doch nicht genommen»

Joachim Steinwendner ist Professor für Digital GeoHealth und Forschungsfeldleiter «GeoHealth Analytics» am Laboratory for Web Science (LWS) der FFHS. Er ist Forscher aus Leidenschaft und liebt an seiner Tätigkeit besonders die Tatsache, dass seine Arbeit konkreten Anwendungsnutzen findet und er keine Forschung auf Papier betreiben muss.

Joachim, du arbeitest für die FFHS, deren Hauptsitz in Brig ist. Wie hast du es mit Walliserdeutsch?
Ich glaube, Walliserdeutsch ganz gut zu verstehen, vor allem aber merke ich immer schnell, wenn jemand aus dem Wallis anwesend ist. Der Dialekt hat einen grossen Wiedererkennungswert, man hört ihn direkt heraus. Ich finde ihn sehr sympathisch – und man muss ja nicht ALLES verstehen. Zudem bin ich als Salzburger auch mit einem besonderen Dialekt gesegnet.

Du bist in Salzburg, der Geburtsstadt Mozarts, geboren und aufgewachsen? Was verbindet dich mit dieser Persönlichkeit sonst noch?
Nicht ganz, ich bin in Tamsweg im Lungau geboren, das im Bundesland Salzburg liegt. Es ist auch ein wunderschönes Skigebiet und durchaus vergleichbar mit dem Wallis. Aufgewachsen bin ich aber tatsächlich in der wunderbaren Stadt Salzburg, wo ich später auch an die Uni gegangen bin.

Mit Mozart verbindet mich neben der geografischen Herkunft nicht viel. Ich bin musikalisch nicht ganz so talentiert wie er. Ich hatte es dereinst mit Trompete versucht, aber der Sport in Form von Leichtathletik und Karate war mir dann doch wichtiger. Sport begeistert mich seit jeher stärker. Später habe ich noch in einem Chor mitgesungen. Da war ich aber eher der sängerische Mitläufer, der zum Volumen beigetragen hat. Beeindruckt hat mich allerdings die Kraft, die so eine Gruppe zu kreieren vermag. Die Intensität und Vereinnahmung eines Chors sind unvergleichlich – in einer architektonisch und akustisch perfekt ausgelegten Umgebung bekomme ich Gänsehaut. Und ja, da haben wir schon auch zu Mozarts Kompositionen musiziert.

Wie sah dein akademischer Werdegang in der Kurzfassung aus?
Ich habe mich früh der «Computerei» verschrieben, was mich schliesslich zum entsprechenden Studium an der Salzburger Paris Lodron Universität führte, wo ich den Magister in Computerwissenschaften gemacht habe. Während dieses Studiums hatte ich die Gelegenheit für drei Semester in den USA zu studieren – an der Bowling Green State University in Ohio. Und es war eine absolut einzigartige Erfahrung, die ich allen Studierenden ans Herz legen würde: Macht ein Auslandsstudium!

Ich blieb bis 1992 fast ausschliesslich in Salzburg respektive in Österreich. Als ich in den USA studiert und gelebt habe, tat sich mir eine ganz neue Welt auf. Ich lernte die Sprache, tauchte in die Kultur ein und lernte auch viel über «Relativität» – damit meine ich, dass dort alles einfach grösser ist: die Autos, die Strassen, auch die Einkaufs-Malls. Und die Läden waren schon damals teilweise 24/7 offen. Das war unglaublich, und da kauftest du keinen Liter Milch oder Orangensaft. Nein, du bekamst eine «Galon» davon und hast dann einen 4-Liter-Kübel mit nach Hause geschleppt (die US-amerikanische Gallone entspricht ca. 3,79 Litern).

Das Jahr in Ohio hat dich also fürs Leben geprägt?
Ja absolut! Wie gesagt, nicht nur dass alles grösser und besser sein wollte und sollte. Das Austauschjahr hat mir auch den Horizont erweitert und mich mit Freunden und Bekannten aus aller Welt beschenkt. Wenn du in einem beschaulichen und behüteten «Dahoam» in einem österreichischen Alpental und dem geografisch eher kleinen Salzburg aufwächst, öffnet dir das Dasein in den Staaten gewaltig die Augen.

Quasi das gesamte Studierendenleben fand auf dem Campus statt, auch wenn wir als Masterstudierende eigene Wohnungen suchen mussten. Sport, Party, Studieren, Essen und Zusammensein – alles. Während der Prüfungswoche war das nahegelegene Diner rund um die Uhr offen und du hast zu allen Unzeiten Studierende angetroffen, die ihre Kaffee-Mugs neben den Büchern hin und her schoben. Im Übrigen mussten wir uns dort ein Auto kaufen, denn der ÖV war praktisch inexistent und da die Distanzen, um irgendwohin zu gehen derart grösser sind als bei uns, brauchst du diese Mobilität. Die Zeit in den USA hat mich in erster Linie als Mensch tief geprägt, angefangen bei einfachsten Erlebnissen und Erfahrungen.

Warum bist du nicht in den USA geblieben und hast deine Karriere dort gestartet?
(zögert ausnahmsweise etwas) Naja, also, eigentlich war das halt so vorgesehen. Ich hatte dort einen Master gemacht, stand aber auch in Österreich kurz vor dem Abschluss. 

Ich bin dann nach Salzburg zurückgekehrt und habe später an der Universität für Bodenkultur Wien meinen Doktortitel in «Remote Sensing Image Processing» im Bereich Satellitenbildverarbeitung gemacht – kam dort auch in Kontakt mit den Themen, die mich noch heute beschäftigen wie das Machine Learning, künstliche Intelligenz und die ganze Geoinformatik. Und ich habe in Salzburg dann meine Frau kennengelernt, was mich wieder zurück nach Salzburg gezogen hat.

Ich bin also aus sehr guten Gründen nicht in den USA geblieben und auch nicht wieder dorthin zurückgekehrt. Die angeeignete Offenheit aus den USA habe ich dann aber dennoch häppchenweise ausgelebt. Einfach mal etwas wagen, selbstbewusst sein und neudenken; so wollte ich nach dem ganzen Studieren mal etwas ganz anderes machen und bewarb mich als geschäftsführender Direktor des Salzburger Zoos – wenig erstaunlich wollten die mich dann aber nicht.

Wirklich schade, aber du hattest ja einen anderen, äusserst spannenden Berufseinstieg gefunden.
In der Tat erhielt ich die Stelle «Applikationsmanagement für Intensivmedizinische Abteilung» in der Salzburger Landesklinik. Dort waren meine Informatikkenntnisse gepaart mit universitären Forschungskompetenzen dann sehr gefragt, vielmehr aber wurde ich aufgrund meiner mentalen Stärke und emotionalen Intelligenz eingestellt. Zugute kam mir in diesem Umfeld auch, dass ich überhaupt nicht aus dem medizinischen Umfeld kam, nicht betriebsblind war und mit neuen Lösungsansätzen an die komplexen Problemstellungen gehen konnte. Und ich war auch mittendrin, mein Büro war direkt neben der Intensivstation und nicht etwa ausgelagert in einem Informatikbüro.

Es war die Zeit, als die TV-Serie «Emergency Room» mit George Clooney sehr populär war und es war für mich extrem beeindruckend in einem solchen Umfeld zu arbeiten; einerseits die tagtägliche Auseinandersetzung mit wirklich starken Schicksalen und andererseits Teil davon zu sein, dass die betriebene Forschung und unser Einsatz konkrete Anwendung finden. Dies ist übrigens auch eine Gemeinsamkeit, die für mich ausschlaggebend ist an der FFHS. Ich kann und darf hier anwendungsorientierte Forschung betreiben.

Hätte glatt bei Emergency Room mitspielen können: Joachim bei seinem Job in der Salzburger Landesklinik. (Foto ZVG)

Nach über zehn Jahren in Salzburg bist du in die Schweiz gekommen, um auch am Universitätsspital Zürich dein spezifisches Knowhow einzubringen.
Ich hatte die Gesamtprojektleitung eines komplexen Projekts, das die verschiedenen Kliniken und Abteilungen mit einem übergreifenden intensivmedizinischen Informatiksystem ausstatten sollte. Es war dann ein grosser Erfolg und wir erhielten Referenzbesuche aus ganz Europa, darunter auch vom Unispital Zürich, das mich in der Folge tatsächlich in die Schweiz gelockt hatte. Ich habe ein Jahr «gependelt», um zu schauen, wie es läuft. Dann kam meine Familie nach und nun bin ich seit rund zehn Jahren glücklich in der Schweiz. Neben der Forschertätigkeit habe ich schon seit vielen Jahren auch als Dozent in Salzburg gearbeitet. Ich bin leidenschaftlich gerne am Unterrichten und will mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben und teilen – und auch umgekehrt von anderen immer weiter lernen.

Wie bist du anschliessend zur FFHS gekommen?
Wie es so ist, hatte ich dann aber auch einmal genug und wollte mich nach Neuem umschauen. Die FFHS hat mir ein spannendes Package geboten, wo ich dozieren und forschen kann, und dies in Bereichen der Geoinformatik, der Gesundheitsinformatik und Data Science, wo wirklich meine Kompetenzen und Interessen liegen – zudem bietet das Laboratory for Web Science (LWS) viel Freiheit für interessante und praxisorientierte Projekte. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Arbeit hatten mich enorm gereizt und tun es noch immer.

Kannst du ein simples Beispiel deiner Tätigkeit geben?
Ich arbeite und lehre etwa im Bereich GeoHealth. Da geht es in dem Forschungsfeld darum, räumliche Information mit Gesundheitsinformation zu kombinieren – ein bekanntes Beispiel dafür sind die uns mittlerweile allen bekannten Coronakarten, wo die «Erde» das räumliche Referenzobjekt darstellt. Mich interessiert aber auch die Anwendung von Geoinformatik mit dem räumlichen Referenzobjekt «Mensch» – also Bewegungsanalysen, Wunddokumentation oder Digital Twins unter Verwendung von KI-Werkzeugen.

Hast du sonst noch ein besonderes Talent, etwas das niemand kann resp. kaum jemand von dir weiss?Ein derart Besonderes nicht wirklich. Ich war und bin sehr sportlich. In Karate trage ich den schwarzen Gurt und ich habe sehr viel Leichtathletik betrieben. Ich habe die ganzheitliche Körperertüchtigung dieses Sports geliebt. Heutzutage bin ich etwas gemächlicher unterwegs, spiele aber seit ein vielen Jahren regelmässig Badminton beim BC Bülach und beim SFC-USZ Badminton – wo ich auch Sektionsleiter bin. Im Übrigen mag ich das Unterrichten auch in meiner Freizeit, gekoppelt mit Sport. So war ich unter anderem Karate-Instruktor, ehrenamtlich auch als Leichtathletik-Trainer für Kinder tätig und habe beim Salzburger Turnverein mitgearbeitet.

Was wolltest du als Kind einmal werden?
Taxifahrer. Mein Vater hatte in meiner Heimat ein Taxiunternehmen, was mich natürlich beeinflusst hat. Zudem waren zu jener Zeit in Salzburg alle Taxis Mercedes-Modelle, die ich ganz besonders cool fand. Ich habe im Übrigen lange Zeit geglaubt, dass die Automarke nicht Mercedes, sondern «Taxi» war. Und ich habe es auch tatsächlich geschafft. Ich habe nämlich mein Studium praktisch als Taxifahrer finanziert.

Welche drei Dinge würdest du auf eine Reise zum Mond mitnehmen?
Meine «Buabn»! Ich habe drei Söhne, die ich auf jeden Fall mitnehmen würde – dazu natürlich auch meine Frau. Wenn es um Familie geht, werde ich sehr schnell demütig und weiss, dass alles Materielle nichts bedeutet im Vergleich zur Familie. Ich bin unglaublich stolz und froh, dass meine Söhne alle ihren Weg gehen, gesund sind und soweit wirklich sehr gut gelungen sind. Bei allem, was man so erreichen kann, was man sich verdienen kann, es gibt nichts Vergleichbares mit der Familie. Und mit dieser würde ich denn auch bis zum Mond reisen.

Mit welcher historischen Persönlichkeit oder welchem Promi würdest du gerne mal einen Kaffee trinken und wo?
Mit Richard P. Feynman (1918–1988). Er gilt als einer der grossen Physiker des 20. Jahrhunderts und wurde 1965 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Er war ein brillanter Forscher, aber auch eine schillernde und teils kontroverse Persönlichkeit, total unkonventionell und nonkonformistisch. Dies zeigen mitunter auch seine autobiografischen Bücher, deren Titel vielsagend «Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman. Abenteuer eines neugierigen Physikers» oder «Kümmert Sie, was andere Leute denken?» lauten. Ich bin selbst leidenschaftlicher Dozent. Was man aber über Feynman erzählt und liest, muss legendär gewesen sein. Sein Charisma und die Fähigkeit, auf seine Zuhörerschaft einzugehen, liessen seine Vorlesungen und Vorträge zu wahrhaften Spektakeln werden. Nur so auf einen Kaffee gehst du mit dem Feynman wohl kaum, da wird mindestens Bier angesagt sein.

Welche Farbe würde dich am besten charakterisieren?
Hier bräuchte ich jetzt den Rat dieser Synästhetikerin, die bei mir Studentin war und die bei jedem Menschen eine Farbe gesehen hat. Leider weiss ich nicht mehr, was sie bei mir wahrgenommen hat. Ich sage Olivgrün. Gefallen tut mir alles Olivfarbene – zudem mag ich die entsprechende Frucht sehr.

Wenn du nur noch eine Band oder eine Musikerin bzw. einen Musiker bis zum Lebensende hören dürftest?
Billy Joel. Ich verbinde seine Musik stark mit meiner Zeit in den USA, die persönlich wohl prägendste Zeit für mich. Ich schwelge gerne in Erinnerungen an jenes Jahr in Ohio, und dabei hilft mir die Musik des als «Piano Man» bekannten Künstlers.

Gesichter der Forschung

An der FFHS wird nicht nur fleissig studiert und unterrichtet. Es gibt auch vier Forschungsabteilungen, in denen viele spannende Projekte umgesetzt werden. Wer aber steht hinter der FFHS-Forschung? Wir präsentieren in einer Reihe einige der verantwortlichen Personen und zeigen, wer sie neben ihrer Forschertätigkeit sonst noch sind.

Dieses Mal war Prof. Dr. Joachim Steinwendner an der Reihe.

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