«CaPS» will nachhaltige Geschäftsmodelle für sichere Stromversorgung liefern
Strukturelle Veränderungen in der Stromversorgung sind ein globales Thema. Trotz aller länderspezifischen Besonderheiten besteht fast überall eine zentrale Herausforderung im Aufbau von Kompetenzen für einen nachhaltigen Elektrizitätssektor. Dazu führen Dr. Lena Freidorfer, Prof. Dr. Hagen Worch und Prof. Dr. Andrea L. Sablone vom Institut für Management und Innovation (IMI) ein internationales Forschungsprojekt durch.
Photovoltaik-Anlage auf der Njalo-Njalo Lodge, Touwsriver, Südafrika.
Schweizer Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind derzeit mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Die am 9. Juni 2024 vom Stimmvolk angenommene Revision des Stromgesetzes sieht zahlreiche neue Regelungen vor. Diese umfassen Vorgaben für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien, die Umsetzung von Energieeffizienzmassnahmen, die Etablierung lokaler Elektrizitätsgemeinschaften sowie die Erweiterung und Digitalisierung des Stromnetzes. Hinzu kommen umfangreiche Dokumentations- und Nachweispflichten. In der Summe ergibt sich eine komplexe Regelungsdichte, die für den Sektor neu ist. Sie stellt die Gemeinden als Eigentümer der Stromversorger vor eine beispiellose, herausfordernde Situation. Insbesondere ist für viele Versorger unklar, welche Kompetenzen aufgebaut und organisatorischen Anpassungen vorgenommen werden müssen, um den Anforderungen zu entsprechen. Hier setzt das internationale Forschungsprojekt Capabilities in Power Sectors (CaPS) an.
Herausfordernde Lage für Schweizer Stromversorger
Eine der Ursachen für die prekäre Situation ist die kleinteilige Struktur des Schweizer Stromsektors. In der Schweiz liegt es in der Verantwortung der Gemeinden, die Stromversorgung zu organisieren. Im Jahr 2022 gab es beispielsweise 604 Verteilnetzbetreiber. Viele von ihnen sind Teil der Gemeindeverwaltungen, die für die Strombeschaffung, die Verteilung und den Unterhalt des lokalen Verteilnetzes zuständig sind. Ein typischer Verteilnetzbetreiber ist klein und häufig im Milizsystem organisiert. Der Median der Betreiber versorgt nur knapp 1’650 Endverbraucher. Aufgrund der Kleinteiligkeit des Sektors gibt es Unterschiede in den Organisationsmodellen, der Dienstleistungsqualität und in den strategischen Ansätzen für die Strombeschaffung. In einer Situation des schnellen Wandels und der zunehmenden Komplexität führt diese Kleinteiligkeit dazu, dass Stromversorger unzureichend aufgestellt sind, um auf die zahlreichen Änderungen angemessen reagieren zu können. Für Versorger stellen sich zentrale Fragen hinsichtlich der benötigten Kompetenzen, der geeigneten Organisationsgrösse, neuer strategischer Aktivitätsfelder sowie der Eigentümerstrategie. Diese Fragen müssen in den Organisationen und Gemeinden zügig geklärt und entsprechend umgesetzt werden. Das CaPS-Projekt unterstützt diesen Prozess, in dem Handlungsoptionen unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontextbedingungen erarbeitet werden.
Südafrika steckt bereits seit Jahren in der Stromkrise
Die Transformation von Stromsektoren ist ein globales Phänomen. Südafrika beispielsweise ist seit zwei Jahrzehnten mit einer massiven Stromkrise konfrontiert. Seit 2005 kam es in Südafrika zu einer Reihe grösserer Stromausfälle und regelmässig zu mehrstündigen Stromunterbrüchen. Dies hat schwerwiegende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Um die Situation zu verbessern, hat die südafrikanische Regierung eine Reihe von Massnahmen ergriffen. Unter anderem wurde dem Privatsektor ermöglicht, umfangreich in den Markt für erneuerbare Energien zu investieren. Damit konnten die verfügbaren Kapazitäten massiv ausgebaut werden. Gleichzeitig wurde der Weg geebnet, die Stromversorgung nachhaltig umzugestalten.
Trotz vieler solcher Massnahmen leidet das Land nach wie vor unter einem schlecht funktionierenden Stromsektor, in dem das Netz und die Kraftwerke an ihre Grenzen stossen. Auch wenn sich die konkreten Herausforderungen zwischen Südafrika und der Schweiz deutlich unterscheiden, die bestehenden strukturellen Probleme sind sehr ähnlich: Auch in Südafrika sind die Gemeinden für die Stromversorgung politisch verantwortlich. Der Druck zur Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung ist hoch. Für die Kommunen ist unklar, was die geeigneten Kompetenzen sind und wie sie diese aufbauen können, um in einem sich schnell verändernden Sektor eine effektive Stromversorgung sicherstellen zu können.
Hohe Unsicherheit über effektive Handlungsoptionen
Trotz der Dringlichkeit wissen Wissenschaft und Praxis zu wenig über die Faktoren, unter denen innovative Geschäftsmodelle im sich verändernden Elektrizitätssektor effektiv funktionieren. Noch weniger wissen wir, wie die Akteure des Stromsektors die erforderlichen Kompetenzen aufbauen sollen, um ihre Organisationen in einem dynamischen Umfeld angemessen zu managen. Ebenfalls ist nicht klar, wie Gemeinden ihre wachsende Verantwortung bei der Initiierung, Förderung und Überwachung von Investitionen in Energieprojekte, bei der Beschaffung von Strom und beim Verteilnetzausbau sicherstellen können.
Internationale Kooperation unter Forschenden soll innovative Lösungen erarbeiten
Das CaPS-Projekt geht diesen offenen Fragen auf den Grund. CaPS ist ein schweizerisch-südafrikanisches Kooperationsprojekt der FFHS mit den Partnerinstitutionen University of Cape Town, Western Cape University, Hasso-Plattner d-school AFRIK*A und ETH Zürich. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) und die südafrikanischen National Research Foundation (NRF) finanzieren das Projekt. Die Stromsektoren in beiden Ländern und deren Dynamiken werden umfassend analysiert und verglichen. Aufbauend auf den Analysen werden innovative Lösungskonzepte für neue Geschäftsmodelle und den Aufbau von Kompetenzen erarbeitet.
Enge Verzahnung von Grundlagen- und angewandter Forschung
CaPS vereint ein Forschungsteam mit starkem theoretischem Hintergrund, methodischer Erfahrung und weitreichenden Kontakten zu Partnern im Elektrizitätssektor. Das Projekt verfolgt drei Hauptziele:
- In einem ersten Schritt analysiert das internationale Forschungsteam die aktuelle Energiepolitik, die sektoralen Reformprozesse und die regulatorischen Veränderungen in den Stromsektoren Südafrikas und der Schweiz. In einer qualitativ-empirischen Analyse werden anschliessend die Auswirkungen auf bestehende Strategien und Kompetenzstrukturen von Stromversorgern untersucht.
- Zweitens wenden die Forschenden einen Aktionsforschungsansatz an. Mit jeweils rund einem Dutzend Umsetzungspartnern (d.h. Gemeinden und Stromerzeugern) in Südafrika und der Schweiz werden in einer Serie von Workshops die benötigten Kompetenzen und Geschäftsmodelle ermittelt und konkrete Handlungsoptionen für deren Aufbau entwickelt. Basierend auf den Erkenntnissen aus dieser Forschung entwickelt das Team länderspezifische Leitfäden, damit andere Stromversorger entsprechende Prozesse zum Aufbau von Geschäftsmodellen und Kompetenzen implementieren können.
- In einem dritten Schritt wird ein länderübergreifender Vergleich der Sektorveränderungen durchgeführt. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen der konzeptionellen Weiterentwicklung unseres Verständnisses von Transformation. Auch sollen Empfehlungen für wirksame politische Massnahmen abgeleitet werden, mit denen die erfolgreiche Umgestaltung der Elektrizitätssektoren vorangetrieben werden kann.
Der international vergleichende Charakter des CaPS-Projekts ist entscheidend für die Erreichung der formulierten Ziele. Ein intensiver Austausch zwischen allen Projektbeteiligten ist deshalb integraler Bestandteil der südafrikanisch-schweizerische Forschungskooperation. Der Austausch findet dabei regelmässig online statt und wird durch Austauschbesuche der beteiligten Forschenden vertieft. Damit soll die gemeinsame Erarbeitung und Interpretation von Resultaten gefördert sowie eine solide Basis für eine langfristige Forschungszusammenarbeit geschaffen werden.
Das Projektteam von links nach rechts: Mundia Kabinga, Senior Lecturer, University of Cape Town (UCT); Hagen Worch, Forschungsfeldleiter, FFHS; Andrea L. Sablone, Forschungsfeldleiter, FFHS; Msuthukazi Makiva, Senior Lecturer, University of Western Cape (UWC); Ettienne Mostert, Hasso Plattner d-school AFRIKA; Wikus Kruger, Power Futures Lab, University of Cape Town (UCT). (Es fehlt: Lena Freidorfer, FFHS)